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505âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
phischen Optimismus entgegenhĂ€lt, trĂ€gt insgesamt recht amorphe ZĂŒge :
â[A]ufgebraucht von Lombarden und Effekten oder was immer er unter sich
hatte, einmal jede Woche einen Sitz in der Oper als einzige Erholung, glaubte
er an einen Fortschritt des Ganzen, der irgendwie dem Bild der fortschreiten-
den RentabilitĂ€t seiner Bank Ă€hneln muĂte.â (MoE 135) Fischel vertritt der-
gestalt ein ziemlich eindimensionales (wirtschafts)liberales Credo, das ihm
bei der Konfrontation mit idealistischen politischen Projekten so unterschied-
licher Romanfiguren wie Graf Leinsdorf (vgl. MoE 135) oder Hans Sepp (vgl.
MoE 483 f.) zu passivem Widerstand oder gar zu leidenschaftlicher Entgeg-
nung gereicht.525 Er erweist sich damit als Karikatur jenes österreichischen
und europÀischen Liberalismus526, den der selbst aus einschlÀgigem Wiener
Milieu stammende Stefan Zweig im RĂŒckblick folgendermaĂen beschrieben
hat :
Das neunzehnte Jahrhundert war in seinem liberalistischen Idealismus ehrlich ĂŒber-
zeugt, auf dem geraden und unfehlbaren Weg zur âbesten aller Weltenâ zu sein. Mit
Verachtung blickte man auf die frĂŒheren Epochen mit ihren Kriegen, Hungersnöten
und Revolten herab als auf eine Zeit, da die Menschheit eben noch unmĂŒndig und
nicht genug aufgeklÀrt gewesen. Jetzt aber war es doch nur eine Angelegenheit von
Jahrzehnten, bis das letzte Böse und GewalttĂ€tige endgĂŒltig ĂŒberwunden sein wĂŒrde,
und dieser Glaube an den ununterbrochenen, unaufhaltsamen âFortschrittâ hatte fĂŒr
jenes Zeitalter wahrhaftig die Kraft einer Religion ; man glaubte an diesen âFortschrittâ
schon mehr als an die Bibel, und sein Evangelium schien unumstöĂlich bewiesen
durch die tĂ€glich neuen Wunder der Wissenschaft und Technik. [âŠ] An barbarische
RĂŒckfĂ€lle, wie Kriege zwischen den Völkern Europas, glaubte man so wenig wie
an Hexen und Gespenster ; beharrlich waren unsere VĂ€ter durchdrungen von dem
Vertrauen auf die unfehlbar bindende Kraft von Toleranz und Konzilianz. Redlich
meinten sie, die Grenzen von Divergenzen zwischen den Nationen und Konfessi-
onen wĂŒrden allmĂ€hlich zerflieĂen ins gemeinsame Humane und damit Friede und
Sicherheit, diese höchsten GĂŒter, der ganzen Menschheit zugeteilt sein.527
525 Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 315, behauptet, dass Musil âFischels
Liberalismus nicht mit [âŠ] dem Konservatismus eines Grafen Leinsdorfâ konfrontiere, was in
dieser AusschlieĂlichkeit nicht stimmt und nur allgemein der romanesken Schwerpunktset-
zung entspricht.
526 Wohl etwas ĂŒberzogen scheint hier die Deutung von Magris : Arnheim und Papa Fischel,
S. 146, wonach sich die Figur Leo Fischels als Verkörperung der âMenschlichkeit der individu-
ellen und liberalen Kultur des 19. Jahrhunderts in ihrer edelsten und echtesten Formâ erweise.
527 Zweig : Die Welt von Gestern, S. 16 f.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208