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580 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
wÀhrtes Verfahren, wo der Medizinmann mit einem StÀbchen, das er zum Sitz
des DĂ€mons erklĂ€rte, die Krankheit aus dem Leib des Kranken gezogen hat.â
(MoE 424) Die Fetischisierung der Juden als SĂŒndenböcke wird hier als jahr-
tausendealtes âVerfahrenâ entlarvt, von eigenen Problemen abzulenken ; Musil
zielt darauf, dem nunmehr mit wissenschaftlichem Anspruch daherkommen-
den âmodernenâ Rassismus den Boden zu entziehen. Auch an anderer Stelle
reflektiert sein ErzĂ€hler ĂŒber âjenen atmosphĂ€risch verteilten, zwischen allen
Geschöpfen schwingenden HaĂâ,
der fĂŒr die gegenwĂ€rtige Zivilisation so kennzeichnend ist und die vermiĂte Zufrie-
denheit mit dem eigenen Tun durch die leicht erreichbare Unzufriedenheit mit dem
der anderen ersetzt. Der Versuch, diese Unlust in besonderen Wesen zusammenzu-
fassen, ist bloà etwas, das zum Àltesten psychotechnischen Besitzstand des Lebens
gehört. So zog der Zauberer den sorgsam vorbereiteten Fetisch aus dem Leib des
Kranken, und so verlegt der gute Christ seine Fehler in den guten Juden und be-
hauptet, daà er durch ihn zu Reklame, Zinsen, Zeitungen und Àhnlichem verleitet
worden sei [âŠ]. (MoE 513)
Neben solchen expliziten ĂuĂerungen des ErzĂ€hlers begegnet im Mann ohne
Eigenschaften narrative Ideologiekritik am Antisemitismus auch implizit, was
sich etwa an der Charakterisierung der dogmatisch-ideologischen Sprech-
weise Hans Sepps festmachen lĂ€sst : âHans spulte, bald leiernd, bald stoĂend,
die Augen, ohne zu sehen, vorausgerichtet, seine GlaubenssĂ€tze ab.â (MoE
556) Nicht irrelevant ist auch das Urteil des zentralen Protagonisten fĂŒr die
narrative Sympathielenkung des Romans : âUlrich war Ă€rgerlich ĂŒber dieses
aberglĂ€ubische GeschwĂ€tz.â (MoE 557) Was er darunter versteht, wird ange-
sichts der sprachkritischen Haltung des ErzÀhlers klar, der etwa moniert, dass
Hans Sepp sich âgewaltige[r] Substantivaâ bedient, âdie er seinem Inbegriff
unbeschreiblicher Erfahrungen unterschob, wie das, nebenbei bemerkt, zum
Schaden der Sache und Erhöhen ihrer WĂŒrde eine verbreitete Gepflogenheit
ist.â (MoE 557) Das hohle Pathos der völkischen Sprache wird durch solche
aphoristischen Nebenbemerkungen kenntlich gemacht.
Jenseits der bisher genannten Aspekte hat die Hans-Sepp-Episode aber
auch eine eminent selbstreferenzielle Funktion fĂŒr die immanente Poetik bzw.
die Àsthetische Reflexion des Romans : So glauben Hans und seine Freunde
âsich durch ihre deutschen Seelen und deren dienende Ehrfurchtâ zur âHei-
matkunstâ verpflichtet (MoE 553), also zu einer im regionalen Raum verwur-
zelten, antiurbanen, antiintellektuellen und antimodernen Kunstform, auf die
sich in der Zwischenkriegszeit zunehmend auch die völkische Programmatik
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208