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							585âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
Gegenteil : Sowohl in biografischer als auch in entstehungsgeschichtlicher
Hinsicht gibt es kaum noch offene Fragen.737 Meingast, der in verschiedenen
EntwĂŒrfen auch unter den (spĂ€ter fĂŒr andere Figuren reservierten) Namen
Lindner oder Hagauer firmiert738, ist âetwas Ă€lterâ als der 34âjĂ€hrige Walter
(MoE 292), also Mitte bis Ende dreiĂig. Ăber seine Herkunft ist vergleichs-
weise wenig zu erfahren, was darauf verweist, dass er in charakterologisch-
habitueller Hinsicht zu den unwichtigeren Nebenfiguren des Romans zÀhlt
und vor allem als Verkörperung einer zeitgenössischen ideologischen Position
fungiert, wie auch sein seltenes Auftreten und seine eingrenzbare narrative
Funktion bestĂ€tigen. Im Unterschied zu anderen figĂŒrlichen Verkörperungen
zeitgenössischer Ideologien besitzt er zudem mit dem Philosophen Ludwig
Klages ein einziges, eindeutig identifizierbares und seinerzeit recht offenkun-
diges biografisches Modell.739
Ulrichs desorientierten Jugendfreunden Walter und Clarisse gilt Meingast
als âHeilbringerâ und âGanzheitsâ-Garant (MoE 784). Er arbeitet denn auch an
einem wichtigen Buch, das sich als âRĂŒstungsbefehl fĂŒr den Geist neuer MĂ€n-
nerâ (MoE 782) versteht. Der Romantext gewĂ€hrt keinen direkten Einblick
in die BeweisfĂŒhrung dieser philosophischen Abhandlung, die man mit Kla-
gesâ dreibĂ€ndigem Hauptwerk Der Geist als Widersacher der Seele (1929â32) in
Verbindung gebracht hat740, doch erlauben einige charakteristische Aussagen,
die Meingast in einem bemerkenswerten GesprĂ€ch ĂŒber Moosbrugger und
einen anonymen Exhibitionisten tÀtigt, Einblicke in den prophetischen Gehalt
seines Denkens. In direkter Rede gibt der ErzÀhler Proben von dessen zwei-
felhafter Konsequenz und vor allem von dessen prekÀren epistemologischen
Implikationen :
âIch wiederholeâ, sagte Meingast âdaĂ man [âŠ] nicht intellektuell kritisieren darf.
Aber die IntellektualitÀt ist, wie wir wissen, nur der Ausdruck oder das Werkzeug
eines ausgetrockneten Lebens ; dagegen kommt das, was Clarisse ausdrĂŒckt, wahr-
737 Zu den biografischen HintergrĂŒnden in der Beziehung Musils zum Ehepaar Donath vgl. ebd.,
S. 240â244, ferner Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 334 f.; Corino :
Musil [2003], S. 305â307. Zur Herausbildung der Meingast-Figur vgl. Howald : Ăsthetizis-
mus und Àsthetische Ideologiekritik, S. 335 f.; Schneider : Marginalien zur Meingast-Episode,
S. 241 f.; Fanta : Die Entstehungsgeschichte des âMann ohne Eigenschaftenâ, S. 247 f.; PreuĂer :
Die Masken des Ludwig Klages, S. 237â240.
738 Vgl. Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 336 u. ebd., Anm. 360.
739 Vgl. Schneider : Marginalien zur Meingast-Episode, S. 239 (unter Verweis auf Tb 2, 862â867).
740 Vgl. ebd., S. 244 ; zu den inhaltlichen BezĂŒgen zwischen Meingasts AusfĂŒhrungen und Klagesâ
Buch vgl. ebd., S. 244 f., sowie Blasberg : Krise und Utopie der Intellektuellen, S. 185 f.; dagegen
Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 338, Anm. 365.
					
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						Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
							Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
								
							
				- Titel
 - Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
 - Untertitel
 - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
 - Autor
 - Norbert Christian Wolf
 - Verlag
 - Böhlau Verlag
 - Ort
 - Wien
 - Datum
 - 2011
 - Sprache
 - deutsch
 - Lizenz
 - CC BY-NC-ND 3.0
 - ISBN
 - 978-3-205-78740-2
 - Abmessungen
 - 15.5 x 23.0 cm
 - Seiten
 - 1224
 - Schlagwörter
 - Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
 - Kategorie
 - Geisteswissenschaften
 
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
 - Einleitung 11
 - TEIL I : GRUNDLEGUNG
 - TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
				
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
 - 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
 - Erben und Enterbte 344
 - Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
 - Mann mit Eigenschaften 378
 - Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
 - Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
 - Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
 - Aufsteiger und Gebremste 482
 - Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
 - Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
 - Terroristen und Propheten 548
 - Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
 - eingast, Faschist und Schwerenöter 584
 - Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
 - Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
 - Gefallene Geliebte 643
 - Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
 - Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
 - Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
 - Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
 - Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
 - Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
 - Angepasste und Dissidentinnen 708
 - Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
 - Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
 - 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
 - Ehen in der Krise 781
 - Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
 - Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
 - Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
 - Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
 - Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
 - Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
 - Liebesversuche jenseits der Ehe 885
 - Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
 - Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
 - Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
 - Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
 - 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
 - Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
 - Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
 - Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
 - Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
 - Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
 - BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
 
 - BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
 - TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
 - Literaturverzeichnis 1169
 - Musil-Texte 1169
 - Andere Quellen 1169
 - Nachschlagewerke 1176
 - Allgemeine Forschungsliteratur 1176
 - SekundÀrliteratur zu Musil 1193
 - Register 1208