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593âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
ihren Freundinnen berichtete : âSie sind ein Schwein !â Es bereitete ihr ein VergnĂŒ-
gen, das wie Stiefel und Sporn war, dieses niedrige Wort zu gebrauchen und ihn zu
beschimpfen ; aber sie hatte trotzdem Angst davor, daĂ sie am Ende auch nicht wi-
derstehen könnte, und wenn er sie um einen Kuà bat, getraute sie sich nicht zu wi-
dersprechen, weil sie sich fĂŒrchtete, einen blöden Eindruck zu machen. (MoE 439)
Der junge Meingast hat also zunÀchst und zuvorderst als latent pÀdophiler
Schwerenöter gewirkt759 und dabei nicht geringen Erfolg gehabt, was Clarisse
retrospektiv auf seine so verstörende wie anziehende Mischung von âKörper-
lich-Geistige[m]â (MoE 440) zurĂŒckfĂŒhrt : âEs geht ja sonderbar zu in solchen
Dingen ; Dr. Meingasts Atem hatte etwas, worin der Widerstand schmolz, et-
was wie reine leichte Luft, in der man sich glĂŒcklich fĂŒhlt, ohne sie zu mer-
kenâ (MoE 440). Damit sind habituelle Ingredienzien bezeichnet, die auch
anderweitig zum Erfolg fĂŒhren können : WĂ€hrend sein SchĂŒler Georg Gröschl
nach den sexuellen Ăbergriffen, die er als verklemmter Jugendlicher unter
Meingasts Obhut an Clarisse und ihrer Schwester Marion begangen hatte
(vgl. MoE 438 f.), nunmehr âein aussichtsvoller und eleganter Regierungsju-
ristâ geworden ist (MoE 439), hat sich Meingast selbst in einer âungeheure[n]
Verwandlungâ, âdie aus dem leichtfertigen Lebemann einen berĂŒhmten Den-
ker machteâ (MoE 441), in eine ganz andere berufliche Richtung entwickelt.
Nachdem er âin die Schweiz gegangenâ (MoE 292) war760, âseine SĂŒnden zu-
rĂŒckgelassenâ (MoE 442) und âden Zyniker abgelegtâ (MoE 439) hatte, ist er
âPhilosophâ (MoE 292) geworden bzw. das, âwas man auĂerhalb der Universi-
tĂ€ten einen berĂŒhmten Philosophen nenntâ (MoE 439).
Dieser kleine, aber feine Unterschied ist fĂŒr eine wissenssoziologisch und
wissensgeschichtlich informierte Analyse der Meingast-Figur entscheidend :
Wie Bourdieu in seinem Heidegger-Buch betont hat, entfaltet sich in der Zwi-
schenkriegszeit âjene ganz und gar originelle ideologische Gestimmtheit, mit der
nach und nach das gesamte BildungsbĂŒrgertum durchtrĂ€nkt wirdâ, nĂ€mlich
âzunĂ€chst noch in Randbezirken der UniversitĂ€tâ.761 Dies wird sich jedoch
bald Àndern :
759 Dazu gehört auch, dass er âdamals immer unter dem Speisetisch mit den FĂŒĂen heimlich ihre
FĂŒĂe berĂŒhrtâ hat, wie Clarisse spĂ€ter Walter gesteht (MoE 829).
760 Nach Schneider : Marginalien zur Meingast-Episode, S. 242, macht dieses biografische Detail
âunmissverstĂ€ndlich klar, dass Musil in ihm [Meingast, N. C. W.] Klages erkannt wissen will,
lebte dieser doch â dem Publikum des Mann ohne Eigenschaften bekannt â seit 1915 in Kilchberg
bei ZĂŒrich.â
761 Bourdieu : Die politische Ontologie Martin Heideggers, S. 17.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208