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612 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
so groĂe Unterschiede, dass diese schwache Analogie wohl kaum Gewicht
hat (von einer kommunistischen Vergangenheit SchmeiĂers fĂ€llt bei Musil im
Ăbrigen kein Wort). AuĂerdem wĂ€re dadurch die Frage nach den GrĂŒnden
fĂŒr genau diese Ăbernahme aus dem biografischen Material bloĂ auf eine an-
dere analytische Ebene verschoben. TatsÀchlich lassen sich gerade aus der
Diskrepanz zwischen Modell und literarisch konstruierter Figur die konstituti-
ven Prinzipien Letzterer ermitteln â und damit auch die sich in der narrativen
Figurenkonstruktion manifestierende kĂŒnstlerische Strategie.
Nicht einmal in den AnsĂ€tzen zur Romanfortsetzung aus den dreiĂiger Jah-
ren, sondern nur in Ă€lteren Vorstufen â den sogenannten Kapitelgruppen-Ent-
wĂŒrfen aus den zwanziger Jahren â hat Musil die offenbar auch noch spĂ€ter
vorgesehene812 Auseinandersetzung zwischen SchmeiĂer und Meingast skiz-
ziert (vgl. MoE 1514â1523, bes. MoE 1518 f. u. 1522 f.) â eine heftige Debatte
zwischen den beiden âFĂŒrâ-MĂ€nnern bzw. Ideologen von rechts und links in
einem eigenen âPropheten-Kapitelâ, zu dem sich auch Notizen im Nachlass
finden (vgl. M II/1/22â23) und dessen definitive erzĂ€hlerische Ausgestaltung
fĂŒr den thematischen Fokus von Prophetismus, Terror und Erlösung wohl
nicht uninteressant gewesen wĂ€re. Soweit sich aus den apokryphen â und des-
halb philologisch nicht unprekĂ€ren â Notizen und EntwĂŒrfen ersehen lĂ€sst,
hĂ€tten die beiden kontrĂ€ren âFĂŒrâ-Argumentationen jeweils von einem recht
stereotypen Automatismus geprÀgt sein sollen. Der aufmerksam lauschende
Ulrich gelangt in den nachgelassenen Vorstufen angesichts des gedanklich
leerlaufenden Wortwechsels zwischen SchmeiĂer und Meingast (der in die-
sem Arbeitsstadium noch Lindner heiĂt) zu folgendem vernichtenden Fazit :
âSo eine Theorie funktioniert nur dann, wenn sie falsch ist, aber dann ist sie
eine ungeheure GlĂŒcksmaschine ! Die zwei kommen mir vor wie ein Fahr-
kartenautomat, der mit einem Schokoladenautomaten streitet.â (MoE 1522 f.)
Bezeichnenderweise findet er mit dieser ironisch-kritischen Diagnose bei den
anderen Zuhörern Walter und Clarisse âkeinen Anklangâ (MoE 1523). Soweit
aus einer nachgelassenen Notiz zum Romanende ersichtlich ist, spielte Musil
Ăer-EntwĂŒrfen bereits zu Zerner fest : âHat schon mehrere kleinere physikalische Arbeiten
gemacht, aber noch nicht den Doktor. Typischer zweiter Assistent. Kann seine Gedanken
schlecht entwickeln.â (Tb 1, 427 f.)
812 Vgl. den apokryphen Kapitelentwurf âWarum die Menschen nicht gut, schön und wahrhaftig
sind, sondern es lieber sein wollenâ vom Jahreswechsel 1933/34, worin einleitend bemerkt
wird : âDiesen jungen Mann hatte Ulrich fĂŒr den General ausersehn und schlug ihm vor, mit
dem General gemeinsam Meingast zu besuchen, denn SchmeiĂer wuĂte von diesem Prophe-
ten, und wenn es auch ein falscher war, so war es SchmeiĂer doch nichts Neues, auch die
Versammlungen von Gegnern zu besuchenâ (MoE 1458).
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208