Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geisteswissenschaften
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Seite - 612 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 612 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Bild der Seite - 612 -

Bild der Seite - 612 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Text der Seite - 612 -

612 Teil II: Romantext als KrĂ€ftefeld so große Unterschiede, dass diese schwache Analogie wohl kaum Gewicht hat (von einer kommunistischen Vergangenheit Schmeißers fĂ€llt bei Musil im Übrigen kein Wort). Außerdem wĂ€re dadurch die Frage nach den GrĂŒnden fĂŒr genau diese Übernahme aus dem biografischen Material bloß auf eine an- dere analytische Ebene verschoben. TatsĂ€chlich lassen sich gerade aus der Diskrepanz zwischen Modell und literarisch konstruierter Figur die konstituti- ven Prinzipien Letzterer ermitteln – und damit auch die sich in der narrativen Figurenkonstruktion manifestierende kĂŒnstlerische Strategie. Nicht einmal in den AnsĂ€tzen zur Romanfortsetzung aus den dreißiger Jah- ren, sondern nur in Ă€lteren Vorstufen – den sogenannten Kapitelgruppen-Ent- wĂŒrfen aus den zwanziger Jahren – hat Musil die offenbar auch noch spĂ€ter vorgesehene812 Auseinandersetzung zwischen Schmeißer und Meingast skiz- ziert (vgl. MoE 1514–1523, bes. MoE 1518 f. u. 1522 f.) – eine heftige Debatte zwischen den beiden ‚FĂŒr‘-MĂ€nnern bzw. Ideologen von rechts und links in einem eigenen ‚Propheten-Kapitel‘, zu dem sich auch Notizen im Nachlass finden (vgl. M II/1/22–23) und dessen definitive erzĂ€hlerische Ausgestaltung fĂŒr den thematischen Fokus von Prophetismus, Terror und Erlösung wohl nicht uninteressant gewesen wĂ€re. Soweit sich aus den apokryphen – und des- halb philologisch nicht unprekĂ€ren – Notizen und EntwĂŒrfen ersehen lĂ€sst, hĂ€tten die beiden kontrĂ€ren ‚FĂŒr‘-Argumentationen jeweils von einem recht stereotypen Automatismus geprĂ€gt sein sollen. Der aufmerksam lauschende Ulrich gelangt in den nachgelassenen Vorstufen angesichts des gedanklich leerlaufenden Wortwechsels zwischen Schmeißer und Meingast (der in die- sem Arbeitsstadium noch Lindner heißt) zu folgendem vernichtenden Fazit : „So eine Theorie funktioniert nur dann, wenn sie falsch ist, aber dann ist sie eine ungeheure GlĂŒcksmaschine ! Die zwei kommen mir vor wie ein Fahr- kartenautomat, der mit einem Schokoladenautomaten streitet.“ (MoE 1522 f.) Bezeichnenderweise findet er mit dieser ironisch-kritischen Diagnose bei den anderen Zuhörern Walter und Clarisse „keinen Anklang“ (MoE 1523). Soweit aus einer nachgelassenen Notiz zum Romanende ersichtlich ist, spielte Musil ßer-EntwĂŒrfen bereits zu Zerner fest : „Hat schon mehrere kleinere physikalische Arbeiten gemacht, aber noch nicht den Doktor. Typischer zweiter Assistent. Kann seine Gedanken schlecht entwickeln.“ (Tb 1, 427 f.) 812 Vgl. den apokryphen Kapitelentwurf „Warum die Menschen nicht gut, schön und wahrhaftig sind, sondern es lieber sein wollen“ vom Jahreswechsel 1933/34, worin einleitend bemerkt wird : „Diesen jungen Mann hatte Ulrich fĂŒr den General ausersehn und schlug ihm vor, mit dem General gemeinsam Meingast zu besuchen, denn Schmeißer wußte von diesem Prophe- ten, und wenn es auch ein falscher war, so war es Schmeißer doch nichts Neues, auch die Versammlungen von Gegnern zu besuchen“ (MoE 1458).
zurĂŒck zum  Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Titel
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Untertitel
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Autor
Norbert Christian Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
1224
Schlagwörter
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion