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668 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
zige Verfehlung dieses etwas flausenlosen, gutmĂŒtigen und lebensfrohen Mannes
bestand darin, daà er mit seiner Gattin verheiratet war und sich dadurch öfter als
andere MÀnner in jenem VerhÀltnis zu ihr befand, das man in der Sprache der Delikte
ein GelegenheitsverhÀltnis nennt. (MoE 43)
Es handelt sich bei diesem Ehemann also um einen offenbar relativ phanta-
siearmen und völlig unmusischen, ja uneinfĂŒhlsamen Angehörigen des geho-
benen BĂŒrgertums, der âdas GebĂ€ren fĂŒr Frauensache, das Töten aber fĂŒr eine
MĂ€nnerangelegenheitâ hĂ€lt (MoE 261) und ostensible moralische Rechtschaf-
fenheit mit einem fehlenden Sinn fĂŒr die als âunmĂ€nnlichâ konnotierten An-
gelegenheiten von âKunst und Liebeâ verbindet. Seine Gattin kann mit ihren
hohen sozialen, moralischen, kulturellen und erotischen AnsprĂŒchen an ihm
deshalb kein GenĂŒgen finden.
Bonadeas System hatte bisher in einem Doppelleben bestanden. Sie stillte ihren
Ehrgeiz in einem gehoben zu nennenden Familienkreis und empfing auch in ihrem
gesellschaftlichen Verkehr die Genugtuung, fĂŒr eine hochgebildete und distinguierte
Dame zu gelten ; gewissen Verlockungen, denen ihr Geist ausgesetzt war, gab sie aber
mit der Ausrede nach, daĂ sie das Opfer einer ĂŒberreizten Konstitution sei, oder auch,
daĂ sie ein Herz habe, welches zu Torheiten verleite, denn Torheiten des Herzens
sind Àhnlich ehrenvoll wie romantisch-politische Verbrechen, selbst wenn ihre Be-
gleitumstÀnde nicht ganz einwandfrei sein sollten. Das Herz spielte dabei die gleiche
Rolle [âŠ] wie der irrationale Rest in jedem geordneten Lebensverhalten, der zuletzt
alles in Ordnung bringt, was der Verstand nicht dahin zu bringen vermag. (MoE 522)
In charakteristischer Weise scheint hier eine weibliche Angehörige des kaka-
nischen BĂŒrgertums in zwei unterschiedliche SeelenzustĂ€nde gespalten, die
nur um den Preis eines atavistischen Irrationalismus zumindest oberflÀchlich
homogenisiert werden können. Die historisch verbĂŒrgte, ideologisch aber
unvermittelte und unvermittelbare Trennung der LebenssphÀren in eine offi-
zielle Tages- und eine verborgene Nachtseite ist insofern auch von soziologi-
scher Relevanz, als sie Pars pro Toto fĂŒr jene ungleichzeitige Habitusform des
20. Jahrhunderts steht, die öffentlich noch traditionellen Moralvorstellungen
huldigt, wÀhrend man sich im privaten Leben lÀngst schon davon entfernt hat.
Eine gewisse Schizophrenie mit allen ĂŒblichen affektiven Begleiterscheinun-
gen ist angesichts âder gesellschaftlichen Spaltung von Leben und Liebeâ972
nicht zu vermeiden :
972 So Pekar : Die Sprache der Liebe, S. 192.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208