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670 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
gegenĂŒber Bonadea âsomit das notwendige Pendant zur SexualitĂ€tâ ist976, dann
wÀre diese Konstellation im Sinne einer Steigerung von Leona zu Bonadea da-
hingehend zu prĂ€zisieren, dass sein ambivalentes Verhalten gegenĂŒber der bĂŒr-
gerlichen Geliebten insofern ödipale ZĂŒge aufweist, als es sich in einer struk-
turellen Homologie zu seinem Verhalten gegenĂŒber dem (vĂ€terlich codierten)
Feld der Macht befindet, das seinerseits die (von Ulrich reprÀsentierte) Kultur
ökonomisch und sozial dominiert, ja tendenziell sogar prostituiert. In einer lee-
ren Geste des Aufbegehrens tobt sich der âgeistige Dadaistâ nun dagegen aus,
indem er seinem âmĂ€nnlichenâ Begehren freien Lauf lĂ€sst, womit er vorder-
hand zwar die gesellschaftlichen Normen durchbricht, tatsÀchlich aber ange-
sichts der (oben analysierten) defizitĂ€ren Struktur dieses nicht âanerkennendenâ
Begehrens jenes vÀterliche Gesetz, gegen das er anrennt, gerade reproduziert.
Abgesehen davon ist es aber die gröĂere WandlungsfĂ€higkeit, wodurch
sich Bonadea von der relativ starren, weil sozial noch stÀrker dominierten
Leona habituell unterscheidet : âIhre ungebundene Stellung macht sie fle-
xibel. Sie ist eine der wenigen Romanfiguren, die sich âentwickelnâ ; ihre
Entwicklung besteht darin, daà sich ihre LiebesfÀhigkeit bis zu dem Punkt
steigert, an dem Ulrich mit dem gesellschaftlichen LiebesverstÀndnis bricht
und in die geschwisterliche Liebe hinĂŒbertrittâ, wĂ€hrend Bonadea aufgrund
ihrer oben skizzierten habituellen Konstitution den âBoden des Gesellschaft-
lichenâ zuletzt trotz aller positiven Entwicklung ânicht verlassenâ kann977
und schlieĂlich als âGeliebte des Grafen Leinsdorfâ hervortritt (MoE 1893)
oder sich wĂ€hrend der Mobilmachung zu Kriegsbeginn gar âvon den vielen
MĂ€nnern begeistertâ zeigen sollte (MoE 1903, nach M II/2/15).978 Dennoch
besteht ihre âfunktionale Bedeutungâ auch weiterhin âdarin, Ulrichs immer
noch (und immer wieder) vorhandene Ziellosigkeit und InstabilitÀt praktisch
vorzufĂŒhrenâ.979 Die Einsicht in die kulturelle Formung menschlicher Be-
gierde durch die Anerkennung des âweiblichenâ Begehrens wird er sich erst
in der Geschwisterliebe erarbeiten und selbst dann noch herbe âRĂŒckfĂ€lleâ
erleben. Hinsichtlich Bonadeas aber âreicht Ulrichs Empfindung nicht viel
des Musilâschen ErzĂ€hlers, der zufolge âdie ideale Forderung, seinen NĂ€chsten zu lieben, unter
wirklichen Menschen in zwei Teilen befolgt wird, deren erster darin besteht, daĂ man seine
Mitmenschen nicht leiden kann, wÀhrend das der zweite dadurch wettmacht, daà man zu ihrer
einen HĂ€lfte in sexuelle Beziehungen gerĂ€tâ (MoE 876).
976 Pekar : Die Sprache der Liebe, S. 190.
977 Ebd.
978 Vgl. Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 207 ; Fanta : Die Totalinversion
der Nebenfiguren, S. 234 f.
979 Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 206.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208