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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Seite - 744 -
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744 Teil II: Romantext als KrĂ€ftefeld und auf eine scheinbar ebenso ungewöhnliche Weise“ genesen, indem die „Er- krankung so unerwartet abschloß, wie sie begonnen hatte“ (MoE 726). Die im unmittelbaren Anschluss daran berichtete, an Kleists Bettelweib von Locarno gemahnende Episode von der hexenden Bettlerin trĂ€gt das Ihre dazu bei, den Modus des Nicht-RatioĂŻden zu bestĂ€tigen1211, der diesen Kindheitserlebnissen Agathes anhaftet und der im Fortgang der Romanhandlung noch eine gewich- tige Rolle spielen wird. Auch der weiteren Habitusausbildung des MĂ€dchens liegt die skizzierte „Ambivalenz von (Ă€ußerer) Folgsamkeit und (innerem) RĂŒckzug“ als ‚ge- nerative Formel‘ zugrunde, „die zu einer Trennung von Phantasiewelt und Wirklichkeit zwingt“1212 bzw. zu einer Unterscheidung zweier unterschied- licher ‚Wirklichkeiten‘ oder ‚ZustĂ€nde‘, wobei Agathes Sympathieverteilung eindeutig zugunsten der ‚zweiten Wirklichkeit‘ bzw. des ‚anderen Zustands‘ ausschlĂ€gt. In Musils apokryphen Notizen der frĂŒhen zwanziger Jahre, die als Vorarbeiten zum spĂ€teren Kapitel 9 („Agathe, wenn sie nicht mit Ulrich spre- chen kann“) des Zweiten Buchs anzusehen sind, wird ihre besondere Disposi- tion zur ‚mythischen Denkform‘ ausdrĂŒcklich benannt : Agathe hat in der Schule schwer und dumpf gelernt. Nun hört sie den Satz : Wunsch 
 [Der Wunsch ist der Vater des Gedankens, N. C. W.] in isolierender Betonung und che, aber nicht identische Richtung deutet eine kompositorische Notiz aus dem Erlöser-Projekt der Jahre 1921/22, in der Musil unter dem Stichwort „Agathe“ einen Gedanken aus dem Spion- Projekt (vgl. Tb 1, 389 ; H 8/75) weiterentwickelt : „Schon als Kind – wie Pascal – in eine nie ganz aufgeklĂ€rte Krankheit verfallen. Man erzĂ€hlte spĂ€ter, sie sei von einer PfrĂŒndnerin verhext und dann wieder enthext worden, die sich fĂŒr einen Tadel rĂ€chen wollte, der ihr auf Grund einer Verleumdung erteilt worden war. Der Vater gab ihr schliesslich eine Ohrfeige und das bewirkte die moralische Umkehr. Man konnte nie Genaueres darĂŒber erfahren. Tatsache war, dass die Krankheit nicht aufgeklĂ€rt war und auch dass der Vater einmal eine solche Ohrfeige ausgeteilt hatte. Beunruhigendes GefĂŒhl von der Macht ĂŒber das Leben selbst dieses Vaters. Aber wieviel daran Legende war, liess sich nie mehr absondern. Solange sie Kinder waren sprachen die Dienstboten davon, liessen sich aber nicht auf genauere ErklĂ€rungen ein und spĂ€ter waren die Dienstboten fort und durch andre ersetzt.“ (M VII/8/151) 1211 Zwar werden die „Andeutungen“ der „Hausleute“, wonach die kleine Agathe von der Bettle- rin verhext worden sei, dadurch entkrĂ€ftet, dass das fragliche Ereignis „nicht vor, sondern erst wĂ€hrend ihrer Krankheit geschehn“ ist ; dennoch trĂ€gt ihr „GedĂ€chtnisbild, worin sie ihren Vater vor sich sah, wie er in flammendem Zorn auf ein verdĂ€chtig aussehendes Weib losschlug und mehrmals mit der flachen Hand dessen Wange rĂŒhrte“, alle ZĂŒge einer rational nicht kommensurablen Erfahrung : „[S]ie hatte den kleinen, sonst qualvoll rechtlichen Verstandes- mann nur dieses eine Mal in ihrem Leben derart verĂ€ndert und von Sinnen wahrgenommen“ (MoE 726). 1212 Böhme : Anomie und Entfremdung, S. 195.
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Titel
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Untertitel
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Autor
Norbert Christian Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
1224
Schlagwörter
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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