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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Seite - 758 -
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758 Teil II: Romantext als KrĂ€ftefeld verdrĂ€ngt keineswegs, dass ihr Körper „nicht identisch mit ihr selbst ist“1246 und deshalb auch keine dauerhafte Versicherung ihrer Ich-IdentitĂ€t leisten kann.1247 Ganz nach dem Vorbild der Mach’schen Wahrnehmungstheorie1248 sieht sie ihre IdentitĂ€t nicht im Körper als solchem, sondern in den GefĂŒhlen, die ihr der Kör- per erweckt. Diese GefĂŒhle aber mĂŒssen sich mit den VerĂ€nderungen des Körpers und seiner Wirkungen auch grundlegend verĂ€ndern, sodass von ihrem momentanen ‚Ich‘ in wenigen Jahren nichts mehr ĂŒbrig bleiben wird als Erinnerung, die ja immer schon Deutung ist und aller Gewissheit ermangelt.1249 Auch den ĂŒberkommenen identitĂ€tsstiftenden Glauben „an eine Seele“ lehnt Agathe ab, „weil ihr das ĂŒberheblich und auch fĂŒr ihre Person viel zu bestimmt vorkam. Sie konnte bloß ebensowenig an das Irdische glauben“ (MoE 857). Mit der zuletzt zitierten Verneinung ist wohl nicht nur die abstrakte „Idee einer Substanz“ des Ichs gemeint1250, sondern die Rechtfertigung der herrschenden sozialen Wirklichkeit schlechthin. Agathes „Abkehr von der irdischen Ordnung ohne Glauben an eine ĂŒberirdische“ (MoE 857) erweist sich somit als ‚zweifa- cher Bruch‘ mit den gesellschaftlich etablierten Deutungsmustern der Welt. Eine nachgelassene Entwurfsnotiz Musils aus dem Jahr 1934 bringt Agathes ‚Eigenschaftslosigkeit‘ im Sinne der radikalen Verweigerung gegenĂŒber den vorgegebenen sozialen Rollen mit einer terminologischen PrĂ€zision auf den Punkt, die in den kanonischen Textpassagen so kaum zu finden ist : Dann erinnerte sie sich an Gesichter aus dem 16. Jahrhundert, die sie in irgendeiner Sammlung von Abbildungen einmal gesehn haben mußte. Vortreffliche Gesichter mit starken Stirnen und mit krĂ€ftigeren GesichtszĂŒgen, als man es heute sieht. Man konnte verstehen, daß alle diese Menschen einmal eine Rolle gespielt hĂ€tten. Dazu Umstands, dass sie – gleich wie ihr Bruder Ulrich – „ihr Leben vorbeigehen lasse, als wĂ€hrte es ewig“ (MoE 853), obwohl sie doch um dessen VergĂ€nglichkeit weiß. 1246 Sokel : Agathe und der existenzphilosophische Faktor, S. 112. 1247 Vgl. dazu Bourdieu : Die mĂ€nnliche Herrschaft, S. 112–121. 1248 Vgl. Mach : Die Analyse der Empfindungen, S. 19. 1249 Sokel : Agathe und der existenzphilosophische Faktor, S. 113. 1250 So Sokel ebd.: „Es ist nicht der Unterschied Körper und Seele, materielle und geistige Sub- stanz, also die Art der Substanz, die bei Agathe ins Gewicht fĂ€llt, sondern die Idee der Sub- stanz ĂŒberhaupt, sei sie nun als stofflicher Leib oder als unstoffliche Seele gedacht, erscheint ihr fragwĂŒrdig und unakzeptabel. Und mit dem Glauben an die Substanz löst sich auch der Glaube an das Ich auf.“
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Titel
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Untertitel
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Autor
Norbert Christian Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
1224
Schlagwörter
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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