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759âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
brauchte man aber wohl Mitspieler ; einen Beruf, eine Aufgabe und ein bewegendes
Leben. Aber ihr war dieser Rollenehrgeiz völlig fremd. Sie hatte nie etwas sein wol-
len von dem, was man sein konnte. Die Welt der MĂ€nner war ihr immer fremd ge-
blieben. Die Welt der Frauen hatte sie verachtet. (M I/8/66)
Die zuletzt angesprochene doppelte Distinktion sowohl gegenĂŒber der domi-
nierenden âWelt der MĂ€nnerâ als auch gegenĂŒber der dominierten âWelt der
Frauenâ1251 ist fĂŒr Musils Gestaltung der Agathe-Figur insofern folgenreich, als
der in ihr angelegte radikale Bruch mit sÀmtlichen von der Gesellschaft ange-
botenen Positionen â und seien es auch die oppositionellen â eine universelle
Abgrenzung gegenĂŒber der herrschenden Wirklichkeit impliziert, die unter
der konzessiveren OberflÀche noch viel weiter geht als jene Ulrichs. Da die
Frau ohne Eigenschaften jenseits einer nur oberflÀchlichen Akzeptanz nicht
bereit ist, sich ĂŒberhaupt auf die RealitĂ€t einzulassen und dafĂŒr einen âRol-
lenehrgeizâ zu entwickeln, wodurch sie wie eine Verkörperung romantisch-
mystischer Theoreme wirkt, erstreckt sich ihre ablehnende Haltung sogar auf
die eindeutig gesellschaftskritischen â und damit notwendig wirklichkeitsbe-
zogenen â Bestrebungen der historischen Frauenbewegung, denen Musil eine
historische Berechtigung nicht abgesprochen hatte : âAgathe verabscheute die
weibliche Emanzipation geradeso, wie sie das weibliche BrutbedĂŒrfnis miĂ-
achtete, das sich das Nest vom Mann liefern lĂ€Ăt.â (MoE 727) Musils ErzĂ€hler
profiliert ihre Ablehnung sĂ€mtlicher im romanesken âRaum des Möglichenâ
bestehenden Positionen nicht nur in ideologischer, sondern auch in habituel-
ler Hinsicht :
Sie erinnerte sich gern an die Zeit, wo sie ihren Busen zum erstenmal das Kleid span-
nen gefĂŒhlt und ihre brennenden Lippen durch die kĂŒhlende Luft der StraĂen getra-
gen hatte. Aber die entwickelte erotische GeschÀftigkeit der Frau, die aus der Ver-
hĂŒllung der MĂ€dchenzeit hervorkommt wie ein rundes Knie aus rosa TĂŒll, hatte zeit
ihres Lebens Verachtung in ihr erregt. (MoE 727)
Es liegt auf der Hand, dass in solchen Worten nicht allein âeine persönliche
Ungewöhnlichkeitâ Agathes (MoE 858) im Sinne einer individuellen Idio-
1251 Vgl. auch folgende abschĂ€tzige âVersicherungâ Agathes gegenĂŒber Ulrich : âWenn ich ein
Mann wĂ€re, ich wĂŒrde mir gar kein Gewissen daraus machen, mit den Frauen aufs unzuver-
lĂ€ssigste umzugehn. Ich wĂŒrde sie auch nur aus Zerstreutheit und Staunen begehren ! [âŠ] Sie
sind lĂ€cherliche Schmarotzer. Gemeinsam mit dem Hund teilen sie das Leben des Mannes !â
(MoE 899)
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208