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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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761„Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ ches Privileg ist. In dieser Hinsicht kommt die Frau ohne Eigenschaften dem Standpunkt Musils sogar nĂ€her als Ulrich – dem Standpunkt eines Autors, der selbst erwĂ€hnt, er habe als Kind wiederholt den Wunsch gehegt, ein MĂ€d- chen zu sein.1253 Es ist kompositorisch ĂŒberaus konsequent, wenn die Ob- jektivierung des intellektuellen Spielsinns als eines Aspekts der mĂ€nnlichen ‚Eigenschaftslosigkeit‘ in dem von einem Mann verfassten Roman gerade durch die Frau ohne Eigenschaften nahegelegt wird, weil damit die ‚mĂ€nnli- che‘ Rolle des aktiven Zweifelns und Spielens selbst in Zweifel gezogen wird, was dem ‚weiblichen‘ UngenĂŒgen am permanenten Zweifeln entspricht. Aga- the beweist hier jene charakteristische weibliche „NĂŒchternheit“, die Musil in seinem Essay Die Frau gestern und morgen der ‚neuen Frau‘ als Vermögen zugeschrieben hat, „eine große Reinigung der AtmosphĂ€re“ zu bewirken ; sie bezieht sich mithin nicht mehr auf jene „SchwĂŒle Ă€lterer MĂ€nner“ (GW 8, 1198), die am verstorbenen Vater oder an Hagauer exemplifiziert wird. Als eine weitere Analogie zwischen den beiden Geschwisterfiguren ist zu erwĂ€hnen, dass sich Ulrichs problematische Frauenbeziehungen in Agathes eigenartigen Beziehungen zu MĂ€nnern spiegeln.1254 Schon eine frĂŒhe Notiz Musils im Arbeitsheft 211255 hĂ€lt diesbezĂŒglich fest : „Ihr moralisches Verlas- sensein ist das SeitenstĂŒck zu Achilles’ intellektuellem.“ (Tb 1, 576) Wie be- reits angedeutet, wurde Agathes erste, sehr glĂŒckliche Ehe, die sie auf eigene Veranlassung und zumindest vordergrĂŒndig den damaligen bĂŒrgerlichen Kon- ventionen entsprechend schon recht jung – mit 18 Jahren – eingegangen ist, „ein Jahr spĂ€ter“ durch den frĂŒhzeitigen Tod des „jungen Gatten“ abrupt been- det (MoE 672)1256 – eine Erfahrung, die sie lange nicht verarbeiten kann : Agathe hatte dieses Geschehnis, das ihre GefĂŒhle vernichtete, niemals anerkannt. Verwirrt von Verzweiflung, hatte sie vor dem Bett des Sterbenden auf den Knien ge- legen und sich eingeredet, daß sie die Kraft wieder heraufzubeschwören vermöchte, 1253 Vgl. die (oben erwĂ€hnten) autobiografischen Notizen des Arbeitshefts 33 (Tb 1, 952 f.; H 33/99). 1254 Vgl. dazu den allgemeinen Hinweis bei Neymeyr : Psychologie als Kulturdiagnose, S. 53. 1255 Vgl. dazu Blasberg : Krise und Utopie der Intellektuellen, S. 41. 1256 Die „zum Weltgebrauch platt geschliffene Seite des Geschehnisses“ fasst der ErzĂ€hler in fol- gende Worte : „Agathe hatte mit achtzehn Jahren einen Mann geheiratet, der nur um wenig Ă€lter war als sie selbst, und auf einer Reise, die mit ihrer Hochzeit begann und mit seinem Tode endete, wurde er ihr, ehe sie auch nur ihren zukĂŒnftigen Wohnsitz gewĂ€hlt hatten, bin- nen einigen Wochen durch eine Krankheit wieder entrissen, die ihn unterwegs angesteckt hatte.“ (MoE 756) Ulrich erinnert sich, dass es spĂ€ter hieß, Agathe habe „ihren ersten Mann sehr geliebt“ ; er nimmt diese ihm konventionell erscheinende Formel aber zunĂ€chst nicht sonderlich ernst (MoE 673).
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Titel
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Untertitel
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Autor
Norbert Christian Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
1224
Schlagwörter
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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