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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld790
konfrontiertâ68 werden. Der Weg von der âWeltenharmonieâ in den âungeheu-
ren Privataufruhrâ entspricht dem von zahlreichen Ăsthetikern beschriebe-
nen kleinen Schritt, der das Erhabene vom LĂ€cherlichen trennt.69 Und als ob
das Pathos des frĂŒhen Nietzsche damit noch nicht genug ridikĂŒlisiert worden
wĂ€re, beschlieĂt der ErzĂ€hler die Passage mit einer vernichtenden Frage : âWie
oft hatte sich das wohl schon wiederholt ?â (MoE 48) Die dem spĂ€teren Nietz-
sche entnommene, radikal profanisierende Gedankenfigur der âewigen Wie-
derkehr des Gleichenâ70 desavouiert endgĂŒltig den von der Musik ausgelösten
Anschein individueller menschlicher Vereinigung und NĂ€he.71 Im unmittelba-
ren Kontext der von Musil bemĂŒhten Passage ĂŒber Beethovens 9. Symphonie
heiĂt es in der Geburt der Tragödie :
Unter dem Zauber des Dionysischen schlieĂt sich nicht nur der Bund zwischen
Mensch und Mensch wieder zusammen : auch die entfremdete, feindliche oder un-
terjochte Natur feiert wieder ihr Versöhnungsfest mit ihrem verlorenen Sohne, dem
Menschen. Freiwillig beut die Erde ihre Gaben, und friedfertig nahen die Raubthiere
der Felsen und der WĂŒste.72
68 Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 232.
69 Vgl. Heine : Ideen, S. 282 : âDu sublime au ridicule il nây a quâun pasâ. Dazu etwa Jean Paul : Vor-
schule der Ăsthetik, S. 105 : â[D]er Erbfeind des Erhabenen ist das LĂ€cherlicheâ (§ 26). WĂ€hrend
âideale Erhabenheitâ nach Kant und Schiller âin einem Unendlichenâ bestehe (§ 27), âist das
LĂ€cherliche das unendlich Kleineâ (§ 26). Die Gefahr besteht im plötzlichen Umschlagen von
einem ins andere aufgrund einer inneren Verwandtschaft, was sogar fĂŒr die analytische Meta-
ebene gilt : âWenn ein Programmist, der das LĂ€cherliche analysieren will, das Erhabene voraus-
sendet, um bei dem LĂ€cherlichen und dessen Analyse anzulangen : so kann sein theoretischer
Gang sehr leicht in einen praktischen ausschlagen.â Daraus folgert Jean Paul : âDem unendlich
GroĂen, das die Bewunderung erweckt, muĂ ein ebenso Kleines entgegenstehen, das die entge-
gengesetzte Empfindung regiert.â (S. 109, § 28) In diesem Zusammenhang entfaltet sich erst die
ganze Ironie des berĂŒhmten Mottos Ădön von HorvĂĄths : âNichts gibt so sehr das GefĂŒhl der
Unendlichkeit als wie die Dummheit.â (HorvĂĄth : Geschichten aus dem Wiener Wald, S. [9])
70 Vgl. etwa folgende nachgelassene Passage : âDenken wir diesen Gedanken in seiner furchtbar-
sten Form : das Dasein, so wie es ist, ohne Sinn und Ziel, aber unvermeidlich wiederkehrend,
ohne ein Finale ins Nichts : âdie ewige Wiederkehrâ. / Das ist die extremste Form des Nihilismus :
das Nichts (das âSinnloseâ) ewig !â (Nietzsche : Aus dem NachlaĂ der achtziger Jahre [26], S. 853 ;
auch in Nietzsche : Nachgelassene Fragmente Herbst 1885 bis Herbst 1887, S. 213) Zitate aus
dem Nietzsche-Nachlass werden hier und im Folgenden aus der Àlteren Schlechta-Ausgabe
nachgewiesen, weil diese in ihren Transkriptionen den von Musil verwendeten Editionen nÀher
kommt.
71 Vgl. Pekar : Die Sprache der Liebe, S. 246 : âIhre GegensĂ€tzlichkeit wird durch ein gemeinsames
Klavierspielen exponiert.â Ebd., Anm. 3 : âIhr gemeinsames Spiel ist somit die Karikatur des
spĂ€ter so wichtigen Zwillingsmythos.â
72 Nietzsche : Die Geburt der Tragödie, S. 29.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208