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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld846
gen, die allerdings ins Leere laufen (mĂŒssen), weil sie â zumindest bei Ulrich
â nicht auf einer wirklichen Anziehung basieren :
Sie folgten dem Weg des geringsten Widerstandes, wie ein Bach, der, Hindernissen
ausweichend, eine Wiese hinabflieĂt, und Ulrich legte seinen Arm um Gerdas HĂŒfte,
mit den Spitzen der Finger bis an die Linie gelangend, der, abwĂ€rts schieĂend, das
innere Band des Strumpfhalters zu folgen pflegt. Er wandte sich Gerdas Gesicht zu,
das verstört und verschwitzt dreinsah, und kĂŒĂte sie auf die Lippen. Dann standen sie
da, ohne sich loslösen oder vereinigen zu können. Seine Fingerspitzen gerieten an das
breite Gummiband ihres Strumpfhalters und lieĂen es leise einigemal gegen ihr Bein
schlagen. Nun riĂ er sich los und wiederholte achselzuckend seine Frage : âWohin soll
uns das fĂŒhren, Gerda ?â (MoE 311)
Wie die wiederholte Frage zeigt, steht sein geringes Interesse an ihr als
Frau und GesprĂ€chspartnerin von Anbeginn auĂer Frage. Er nimmt âGerda
nicht ernstâ (MoE 493 ; vgl. MoE 620), ja muss sich bei ihrer Umarmung
sogar ĂŒberwinden (MoE 495). Die mystischen Einheitsvorstellungen an-
hĂ€ngende junge Frau wirft Ulrich hingegen vor, dass er âimmer nur nach
einem Menschen begehrtâ habe und âwie ein Raubtierâ denke (MoE 314).
Manifest wird der Konflikt der sichtlich von zeitgenössischen geschlechts-
spezifischen Rollenzuschreibungen geleiteten âFreundeâ etwa in folgender
Szene :
Gerda war sichtbar erregt, als sie allein zurĂŒckblieben. Er faĂte ihre Hand ; ihr Arm
begann zu zittern, und sie machte sich los. Ulrich trachtete danach, wieder ihre Hand
zu fangen ; sie zog den Arm an sich. âWir wollen eben nicht bloĂ so !â stieĂ sie hervor ;
sie stieĂ diese Worte mit heftiger Verachtung aus, aber ihr Körper schwankte. / âIch
weiĂâ spottete Ulrich ; âalles, was zwischen euch geschieht, soll den höchsten AnsprĂŒ-
chen genĂŒgen. Das ist es gerade, was mich zu einem Verhalten hinreiĂt, das Sie so
freundlich kennzeichnen. [âŠ]â (MoE 486)
Wider besseren Wissens behauptet der âJĂ€gerâ Ulrich in der Folge, er sei âim-
mer schwankend gewesenâ (MoE 486). Die von ihrem unbefriedigten Eros
gedrĂ€ngte und deshalb tatsĂ€chlich schwankende Gerda hingegen âglaubte
ihm nicht, weil sie um zehn Jahre jĂŒnger war als er und einer anderen Gene-
ration angehörte, die sich unverbraucht dĂŒnkteâ (MoE 487 f.). Gerade Gerdas
âweiblicherâ Widerstand reizt Ulrichs âmĂ€nnlichenâ Eroberungstrieb, der all-
mÀhlich selbstlÀuferische Formen annimmt. Die hier entstehende Spannung
kann angesichts der rigiden gesellschaftlichen Geschlechterordnung nicht in
zurĂŒck zum
Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208