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âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ 847
Bahnen gelenkt werden, die fĂŒr beide erquicklich wĂ€ren, wie der weitere Ro-
manverlauf offenbart :
Ihre Neigung fĂŒr Ulrich war in der letzten Zeit wieder lebhaft erwacht, wenn auch
der so menschliche Wunsch, selbst eine Rolle zu spielen, durch den jĂŒngeren Freund
[Hans Sepp, N. C. W.] viel besser befriedigt wurde. Das MerkwĂŒrdige war, daĂ die-
ses junge MĂ€dchen von den zwei einander widersprechenden Neigungen verwirrt
wurde, ein altes FrÀulein zu werden und sich Ulrich hinzugeben. Diese zweite Nei-
gung war die natĂŒrliche Folge der Liebe, die sie schon seit Jahren empfand, einer
Liebe allerdings, die nicht zum Flammen kam, sondern mutlos in ihr glĂŒhte ; und
ihre Empfindungen waren denen der Liebe zu einem UnwĂŒrdigen Ă€hnlich, wo die
beleidigte Seele von einem verÀchtlichen Hang nach körperlicher Unterwerfung ge-
plagt wird. In seltsamem Gegensatz dazu, aber vielleicht doch einfach und natĂŒrlich
als eine Sehnsucht nach Frieden damit zusammenhÀngend, befand sich die Ahnung,
daà sie niemals heiraten und am Ende aller TrÀume ein einsam ruhig tÀtiges Leben
fĂŒhren werde. Es war das kein aus Ăberzeugungen geborener Wunsch, denn Gerda
sah, was sie anging, nicht klar ; eher eine der Ahnungen, wie sie unser Leib mitunter
weit frĂŒher hat als unser Verstand. Auch der EinfluĂ, den Hans auf sie ausĂŒbte, hing
damit zusammen. (MoE 551)
Am Beispiel des VerhÀltnisses von Gerda und Ulrich bestÀtigt sich indirekt
die PrÀmisse der vorliegenden Arbeit, dass im Romankonzept des Mann ohne
Eigenschaften habituelle Elemente und solche der dargestellten sozialen Pra-
xis genauso aussagekrÀftig sein können wie propositionale Aussagen in den
essayistischen Passagen. Pekar hat das mit Blick auf Ulrich in folgende Beob-
achtung gefasst : â[W]enn er [âŠ] mit Gerda allein ist, geht es nur recht vor-
dergrĂŒndig um ideologische Fragen, sondern dann steht vielmehr Gerdas un-
aufgelöste Körperproblematik im Mittelpunkt. Was gesprochen wird, ist recht
egal ; worauf es ankommt, ist der körperliche Effekt der Worte Ulrichs.â198 In
der folgenden Mikroanalyse der âVerfĂŒhrungsszene mit Gerdaâ199 gilt ein be-
sonderes Augenmerk der erzÀhlerischen Gestaltung und romanstrukturellen
Funktion solcher Aspekte von Körperlichkeit.
Es handelt sich beim Kapitel âKontermine und VerfĂŒhrungâ trotz seiner
offenbar geringen Prominenz um einen durchaus berĂŒchtigten Text, und das
gleich in mehrerer Hinsicht. Vor mittlerweile gut vierzig Jahren schickte die
Redaktion der Satirezeitschrift Pardon einen Auszug dieses Kapitels, ergÀnzt
198 Pekar : Die Sprache der Liebe, S. 236.
199 Castex : Auf der Suche nach der verlorenen Frau, S. 59.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208