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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld880
fenen Worten : âDie Leere der mĂ€nnlichen RĂŒcksichtslosigkeit strömte ihm
durch die Augen.â (MoE 495) Von einer Affirmation des Ulrichâschen Macho-
gebarens kann also weder hinsichtlich der Selbstwahrnehmung der Hauptfi-
gur noch hinsichtlich der ErzÀhlinstanz die Rede sein.
An dieser Stelle offenbart sich die Àsthetische Funktionalisierung der Ge-
fĂŒhlskĂ€lte Ulrichs und indirekt auch der âkaltenâ Darstellung, worauf â freilich
nicht im Kontext der KĂ€lteproblematik298 â schon Thomas Pekar hingewiesen
hat : âDie âgewaltvolle Liebeâ zu Gerda ist eine Negativfolie der spĂ€teren âlie-
bevollen Liebeâ zu Agathe.â299 Ihre schonungslose Gestaltung bedeutet bei
Musil keine inhaltliche Positivierung der âkalten personaâ im Sinne der Ana-
lysen Helmut Lethens300, sondern dient der Erzeugung eines kontrastiven
Hintergrunds, von dem sich die Liebeshandlung des Zweiten Buchs umso
deutlicher absetzen kann ; sie ist sozusagen deren romanstrukturelle Vor-
bereitung. GestĂŒtzt wird diese These durch Nachlassmaterial, das bisher in
keiner der vorliegenden Analysen des Kapitels berĂŒcksichtigt wurde : Musil
hĂ€lt in seinen apokryphen konzeptionellen Notizen fest, er sei bei Ăberle-
gungen zum Kapitel âKontermine und VerfĂŒhrungâ auf das ethische Problem
des âGewĂ€hrenlassen[s]â gestoĂen (M I/1/20), das â wie bereits angedeutet
wurde301 â auf die anthropologische Thematik der Gestaltlosigkeit und des
âSeinesgleichenâ zurĂŒckverweist. Zwar habe er diesen Zusammenhang auch
im fertiggestellten Romantext âverschiedentlich berĂŒhrtâ, doch sei die ambi-
valente Problematik dort ânirgends recht durchgefĂŒhrt wordenâ (M I/1/20).
Mit anderen, deutlicheren Worten : âDie heutige Auflösung oder Verwicklung
fördert im Bösen und Guten ein GewĂ€hrenlassenâ, das zum einen eine âFor-
derung Ulrichsâ sei, âziemlich gleichbedeutend mit seiner Opposition gegen
Ideale und dergleichenâ, zum anderen aber eine problematische âEigenschaft
der Zeit, aus der der Krieg entstehtâ (M I/1/20). In den nachgelassenen und
gröĂtenteils wieder verworfenen Skizzen zur weiteren Handlungsfolge aus
den ersten Monaten des Jahres 1930 verstÀrkt Musil die Kritik an seiner mÀnn-
lichen Hauptfigur, zu der er unter den Stichworten âNach Gerdas VerfĂŒhrungâ
(âĂ la baisseâ) bzw. âUnter dem Eindruck der VerfĂŒhrungâ Folgendes notiert :
298 Vgl. ebd., S. 237 : âWarum aber lĂ€Ăt sich Ulrich ĂŒberhaupt auf Gerda ein [âŠ] ? Beantwortbar ist
das nur, wenn man den Spannungsbogen des Ersten Buches beachtet, der aus einer fortschrei-
tenden ZermĂŒrbung Ulrichs besteht.â Erst eine Konsequenz daraus sei dessen Suche nach ei-
ner âdie gesellschaftlichen Distanzgebote ĂŒbersteigende[n] NĂ€heâ, wobei âder gesellschaftliche
Beziehungscodeâ im Ersten Buch freilich noch âzu starkâ sei.
299 Ebd., S. 239 ; vgl. im Anschluss daran auch Schilt : Figuren in Musils Roman, S. 186.
300 Vgl. Lethen : Verhaltenslehren der KĂ€lte, S. 133â234.
301 Vgl. Kap. I.3.1.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208