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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld884
These formuliert, dass das Erste Buch des Mann ohne Eigenschaften insgesamt
eher unter dem Zeichen des Normalzustandes steht, wÀhrend das unvollen-
dete Zweite Buch den âanderen Zustandâ mit seiner ganzen Ambivalenz in
den Mittelpunkt des Interesses rĂŒckt.307 Das berĂŒchtigte Kapitel âKontermine
und VerfĂŒhrungâ leitet den Ăbergang von einem zum anderen ein, der dann
mit dem Kapitel âDie Umkehrungâ abgeschlossen werden soll, wobei insbe-
sondere der unangenehme âhysterische Anfallâ Gerdas eine gleichsam âret-
tendeâ Funktion fĂŒr die mĂ€nnliche Hauptfigur Ulrich innehat, weil er sie vor
einer zu engen Bindung an die Jugendfreundin bewahrt und somit die von Be-
ginn an fĂŒr Agathe vorgesehene erzĂ€hlstrukturelle âSystemstelleâ offenhĂ€lt.308
Zusammenfassend lĂ€sst sich feststellen : Wie schon in frĂŒheren Passagen
des Mann ohne Eigenschaften wird auch im Kapitel âKontermine und VerfĂŒh-
rungâ die emotionale ImmunitĂ€t des Helden, die zum Zweck der gröĂtmög-
lichen darstellerischen Suggestion mit der entsprechenden erzÀhlerischen
Gestaltung einhergeht, einer mehr als impliziten und durch die exponierte
Position im TextgefĂŒge verstĂ€rkten Kritik unterworfen. Die plastische Zeich-
nung von Ulrichs Lieblosigkeit, an der er augenscheinlich selber leidet, schafft
einerseits die psychologische Voraussetzung fĂŒr seine im Zweiten Buch erfol-
gende gegenlÀufige Sensibilisierung und etabliert andererseits eine negative
Kontrastfolie, vor deren Hintergrund sich dann sein empathisches VerhÀltnis
zu Agathe umso plastischer entfalten kann. Die im Ăbergang zur Geschwis-
terhandlung beobachtbare affektive Umpolung der mÀnnlichen Hauptfigur
hat freilich erhebliche darstellerische Konsequenzen, die im gegebenen Rah-
men nicht ausgebreitet werden können. ErwÀhnt sei nur die bereits ausgiebig
diskutierte Technik der gleichsam filmischen GroĂaufnahmen, die Musils und
BalĂĄzsâ Ăsthetik zufolge dazu angetan sind, unter der phĂ€nomenalen OberflĂ€-
che das âGesicht der Dingeâ aufscheinen zu lassen. WĂ€hrend dieses âGesicht
der Dingeâ im Ersten Buch des Musilâschen Romans hĂ€ufig in einem uneigent-
lichen, negativen Sinn als âDĂ€monie der Leereâ Ă€sthetisch wirksam wird, stellt
sich im Zweiten Buch die viel schwierigere darstellerische Aufgabe einer er-
zĂ€hlerischen Positivierung, einer kĂŒnstlerischen Gestaltung zwischenmensch-
lichen GlĂŒcks309, an der die Narration des Romans sich schlieĂlich festfahren
sollte. Zuletzt sei im VorĂŒbergehen erwĂ€hnt, dass Musils romanstrukturelle
Funktionalisierung und somit Depotenzierung des Motivs der âkalten personaâ
307 So Àhnlich schon Goltschnigg : Mystische Tradition im Roman Musils, S. 46.
308 Vgl. Pekar : Die Sprache der Liebe, S. 238 f.
309 Zu den kĂŒnstlerischen Aporien literarischer GlĂŒcksdarstellung vgl. Tanzer : Fortuna, Idylle, Au-
genblick.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208