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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Seite - 907 -
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„Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ 907 „von Liebe und Gemeinschaft“ zwar viel „die Rede“ (MoE 482), in der Praxis aber wenig zu spĂŒren. Die Ideologie von der menschlichen Vereinigung er- weist sich somit zuvorderst als Funktion verschiedener distinktiver und kom- pensatorischer Strategien. In dem Maß, in dem sich deren soziale Bezugspunkte Ă€ndern, unterliegt auch ihr diskursiver Ausdruck einem bemerkenswerten Wandel : Nachdem spĂ€ter klar geworden sein wird, dass einerseits Ulrich fĂŒr Gerda nicht zu haben ist und andererseits Hans Sepp sozial arriviert, prĂ€sentieren sich die UmstĂ€nde in neuem Licht ; sogar die Eltern Fischel zeigen sich nun aufge- schlossener, wie Leos ĂŒberraschend freundlicher Bericht an Ulrich offenbart : „‚Hans Sepp hat die StaatsprĂŒfung gemacht‘ erzĂ€hlte er. ‚Was sagt man dazu ? Jetzt fehlt ihm nur noch ein Examen zum Doktor ! [
] Hans Sepp hat uns die Einladung fĂŒr heute abend besorgt, meine Frau wollte durchaus : soweit ist der Bursche ja nicht ganz untĂŒchtig. Sie sind jetzt so halboffiziell verlobt, Gerda und er. [
]‘“ (MoE 1007 f.). Auch Gerda selbst bekennt sich nunmehr öffentlich in freilich „mĂŒhsam abgehackte[n] Antworten“ (MoE 1017) zum vordem nur verstockt geliebten Hans Sepp sowie indirekt auch zur Institu- tion der Ehe, der sie doch bis dahin kaum etwas abgewinnen konnte. Die- ses spĂ€te und widerwillige Bekenntnis zu den gesellschaftlich vorgegebenen Vereinigungsformen signalisiert die resignierte Aufgabe ihres hochfahrenden antibĂŒrgerlichen Liebeskonzeptes, dessen oppositioneller, wirklichkeitskriti- scher Charakter dann offensichtlich wird, wenn man es mit dem trotz der ehebrecherischen Konstellation prinzipiell affirmativen LiebesverstĂ€ndnis Di- otimas und Arnheims vergleicht : Dort trĂ€umen ja beide Beteiligten zumindest vorĂŒbergehend von der bĂŒrgerlichen Ehe als Krönung ihrer Hoffnungen361, wĂ€hrend Hans und Gerda viel prinzipieller auf eine „Entpanzerung des Ich“ (MoE 555) hinarbeiten – und das gegen alle zur Entstehungszeit grassieren- den „Verhaltenslehren der KĂ€lte“362. In diesem Zusammenhang sei abschließend hervorgehoben, dass der solchen Bestrebungen durchaus nicht generell abgeneigte, ja sichtlich um VerstĂ€ndnis bemĂŒhte Ulrich363 kaum eine wirkliche „AffinitĂ€t zur Ideolo- 361 Vgl. dazu die AusfĂŒhrungen im nĂ€chsten Abschnitt. 362 Vgl. Lethen : Verhaltenslehren der KĂ€lte, bes. S. 133–234. 363 Ulrich erklĂ€rt sich mit dem von Gerda und Hans beschriebenen und angestrebten Zustand bestens vertraut, indem er auf seine „Geschichte mit der Gattin des Majors“ verweist : „[D]a - mals habe ich all das kennen gelernt, woraus Sie, Ihre Freunde und Gerda Ihre großen Ge- heimnisse machen.“ (MoE 550) Wenig spĂ€ter heißt es noch deutlicher : „Er war es, der einen Zusammenhang zwischen dem, was diese jungen Leute ihre Liebe, mit einem anderen Wort auch die Gemeinschaft nannten, und den Folgen eines sonderbaren, wildreligiösen, unmytho-
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Titel
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Untertitel
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Autor
Norbert Christian Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
1224
Schlagwörter
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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