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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Seite - 919 -
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„Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ 919 Die Analogien zu Ulrichs Empfindungen anlĂ€sslich der „Geschichte mit der Gattin des Majors“ sowie zu deren SchlĂŒsselstellung fĂŒr die weitere Entwick- lung des Protagonisten sind nicht zu ĂŒbersehen, was den Mann ohne Eigen- schaften und seinen so eigenschaftsstrotzenden Widersacher einander ĂŒber- raschend annĂ€hert (wenngleich es fraglos entscheidende Differenzen gibt393, auf deren Implikationen noch zurĂŒckzukommen sein wird). Auch Arnheim verliert etwa – vorĂŒbergehend – seinen ‚mĂ€nnlichen‘ Ehrgeiz und nimmt sein verstörendes Erlebnis des ‚anderen Zustands‘ mehr körperlich als diskursiv wahr : Diese schwĂ€rmerische Ahnung, die ihm nun durch Diotima wieder in ihrer ganzen UrsprĂŒnglichkeit gegenwĂ€rtig war, gebot jeder TĂ€tigkeit und Regsamkeit Stille, der Tumult der jugendlichen WidersprĂŒche und die hoffnungsvollen wechselnden Aus- sichten machten dem lautlosen Tagtraum Platz, daß alle Worte, Geschehnisse und Forderungen in ihrer von der OberflĂ€che abgewandten Tiefe ein und dasselbe seien. In solchen Augenblicken schwieg selbst der Ehrgeiz, die Ereignisse der Wirklichkeit waren fern wie der LĂ€rm vor einem Garten, ihn dĂŒnkte, die Seele sei aus ihren Ufern getreten und nun erst wahrhaft anwesend. Man kann nicht lebhaft genug versichern, daß dies keine Philosophie war, sondern ein [
] körperhaftes Erlebnis [
]. (MoE 386) Hier handelt es sich auch aus der Perspektive des ErzĂ€hlers keineswegs um bloßes GeschwĂ€tz. Die in Arnheims bisweilen verqueren und verquasten For- 393 So fĂ€hrt der junge Industriellenerbe angesichts seiner Erlebnisse nicht auf eine einsame Insel, sondern bleibt stets in der bĂŒrgerlichen Welt : „In diesem Zustand speiste zwar schon der junge Paul Arnheim beherrscht in einem vornehmen Restaurant, ging sorgfĂ€ltig gekleidet in jede Gesellschaft und tat ĂŒberall das, was zu tun war ; aber man konnte sagen, daß es dabei von ihm zu ihm ebensoweit war wie zum nĂ€chsten Menschen oder Ding, daß die Außenwelt nicht an seiner Haut aufhörte und die Innenwelt nicht bloß durch das Fenster der Überlegung hinaus- leuchtete, sondern daß sie beide sich zu einer ungeteilten Abgeschiedenheit und Anwesenheit vereinten, die so mild, ruhig und hoch war wie ein traumloser Schlaf. In moralischer Beziehung zeigte sich dann eine wahrhaft große GleichgĂŒltigkeit und Gleichwertigkeit ; es war nichts klein und nichts groß, ein Gedicht und ein Kuß auf eine Frauenhand wogen ebensoviel wie ein mehrbĂ€ndiges Werk oder eine politische Großtat, und alles Böse war so sinnlos, wie im Grund auch alles Gute in diesem Umfangensein von der zĂ€rtlichen Urverwandtschaft aller Wesen ĂŒberflĂŒssig wurde. Arnheim benahm sich also ganz wie gewöhnlich, nur schien es in einer ungreifbaren Bedeutung zu geschehen, hinter deren zitternder Flamme der innere Mensch un- beweglich stand und dem Ă€ußeren zusah, der vor ihr einen Apfel aß oder sich vom Schneider gerade einen Anzug anmessen ließ.“ (MoE 386) Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass sich das „Ur- und Weltliebeserlebnis“ bei Arnheim vor seiner Begegnung mit Diotima „niemals mit einer Frau verbunden“ hat (MoE 387).
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Titel
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Untertitel
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Autor
Norbert Christian Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
1224
Schlagwörter
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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