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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld1004
derinnen aus den Salons. Im gegenseitigen Urteil zÀhlten nur die von den Gleich-
gesinnten anerkannte Vortrefflichkeit und gesellschaftlicher Erfolg. Um so brutaler
konnte die RivalitÀt unter den Schriftstellern werden.643
In einem literarischen Milieu, das gesellschaftlichem Erfolg genauso groĂen
Stellenwert zumisst wie dem Urteil der Experten, mussten avancierte Autoren
ohne Breitenwirksamkeit wie Robert Musil schier verzweifeln. Gleichzeitig
fungierte auch hier die Definition âlegitimerâ Formen der Autorschaft als Waffe
in den feldinternen Auseinandersetzungen, wie sie Bourdieu idealtypisch mo-
delliert hat :
Im Mittelpunkt literarischer [âŠ] KonkurrenzkĂ€mpfe steht immer auch das Monopol
literarischer LegitimitĂ€t, das heiĂt unter anderem das Monopol darauf, aus eigener
Machtvollkommenheit festzulegen, wer sich Schriftsteller [âŠ] nennen darf, oder
sogar darauf, wer Schriftsteller ist und aus eigener Machtvollkommenheit darĂŒber
befinden kann, wer Schriftsteller ist ; oder wenn man so will, das Monopol auf die
Konsekration von Produzenten oder Produkten. Genauer gesagt : Der Kampf zwischen
den Inhabern der polar einander entgegengesetzten Positionen des Feldes der Kul-
turproduktion dreht sich um das Monopol auf die Durchsetzung der legitimen Defi-
nition des Schriftstellers ; verstÀndlicherweise richtet er sich am Gegensatz zwischen
Autonomie und Heteronomie aus.644
Insofern stellt Musils erzÀhlerische Abrechnung mit dem neuartigen Autor-
schaftsmodell des âGroĂschriftstellersâ Arnheim auch eine Form Ă€sthetischer
und literaturpolitischer Stellungnahme bzw. Selbstvergewisserung dar, die
es dem gesellschaftlich vergleichsweise erfolglosen Professorensohn ermög-
lichte, trotz ausbleibender Gratifikationen von staatlicher Seite645 die eigene
schriftstellerische Position zu begrĂŒnden und zu verteidigen. Bevor im folgen-
den Abschnitt abschlieĂend auch diese Problematik beleuchtet wird, gilt es
643 Pollak : Wien 1900, S. 220.
644 Bourdieu : Die Regeln der Kunst, S. 354.
645 Zwar erhielt Musil 1923 (gemeinsam mit Wilhelm Lehmann) den Kleist-Preis, 1924 den
Kunstpreis der Stadt Wien und 1929 den Gerhart-Hauptmann-Preis â allesamt eher Auszeich-
nungen fĂŒr den schriftstellerischen Nachwuchs â, doch scheiterte er noch 1932 mit seinem von
Theodor DĂ€ubler, Alfred Döblin, Oskar Loerke und Thomas Mann unterstĂŒtzten Ansinnen,
in die âSektion Dichtungâ der PreuĂischen Akademie der KĂŒnste aufgenommen zu werden ;
statt seiner wurden Max Mell, Rudolf Binding, Ina Seidel, Rudolf Pannwitz, Adolf Paquet und
Gottfried Benn gewÀhlt. Vgl. dazu Corino : Musil [1988], S. 383 u. 397 f.; Corino : Musil [2003],
S. 1108.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208