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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld1016
renz zwischen den beiden mÀnnlichen Figuren zu streuen, auf die unten noch
genauer einzugehen sein wird.
An dieser Stelle seien hingegen weitere implikationsreiche Analogien zwi-
schen Ulrich und Arnheim gewĂŒrdigt : Beide MĂ€nner haben promoviert und
tragen den Doktortitel (vgl. MoE 96, 108 u. 673), ja zeichnen sich sogar durch
eine gewisse Anlage zum âGeistesfĂŒrstenâ (vgl. MoE 151 f. u. 429) aus, womit
auch eine â allerdings unterschiedlich stark ausgebildete und bei Ulrich bald
wieder ĂŒberwundene â Skepsis gegenĂŒber demokratischen Regierungsformen
(vgl. MoE 109, 154 u. 196) einhergeht. Beide Figuren leiden trotz zahlreicher
Sozialkontakte â in allerdings unterschiedlichem Bewusstheitsgrad â an emo-
tionaler Einsamkeit : Sie haben keine âwirklichenâ Freunde, mit denen sie ihre
persönlichen Sorgen besprechen können (was aber nur hinsichtlich Arnheims
explizit gemacht wird ; vgl. MoE 185)668, ja sind innerlich gespalten und fĂŒhlen
sich manchmal zerrissen.669 Eine charakteristische Pose beider ist der distan-
zierte Blick aus dem Fenster (zu Ulrich vgl. MoE 12, 113, 628, 631â634, 644,
664 f. u. 785 ; zu Arnheim vgl. MoE 505, 634 u. 644)670, der einerseits eine
Geste geistiger SouverĂ€nitĂ€t darstellt, indem die Welt â gemÀà der von Alberti
etablierten Zentralperspektive â scheinbar unbeteiligt als Ă€uĂeres Schauspiel
betrachtet wird671 ; andererseits steht der Fensterblick aber wiederum fĂŒr die
Einsamkeit und zeigt eine gewisse habituelle NĂ€he der nach auĂen hin âfeind-
lichen BrĂŒderâ (vgl. MoE 547) an. Sie empfinden beide eine Sehnsucht nach
innerer Motivation und Einheit des Lebens (zu Ulrich vgl. MoE 130â132, zu
Arnheim vgl. MoE 109, 173, 383â387 u. 509 f.) und vertreten â wie ihre histo-
rischen Modelle672 â eine âMoral des âSteigens und Sinkensââ (MoE 827). An-
sÀtze dazu hat Musil schon in seiner ansonsten recht kritischen Besprechung
668 Zu Ulrich vgl. Kuzmics/MozetiÄ : Musils Beitrag zur Soziologie, S. 243 : âUlrich hat keine
Freunde.â Dagegen sprĂ€che allenfalls die aus der gemeinsamen MilitĂ€rzeit resultierende mĂ€n-
nerfreundschaftliche âKameradschaftlichkeitâ (MoE 370) zwischen ihm und Stumm, die aber
zumindest auf Seiten Ulrichs nicht wirklich als enge Beziehung gelten kann.
669 Zu Arnheim vgl. McBride : âEin schreibender Eisenkönig ?â, S. 294 f.
670 Vgl. etwa Berghahn : Die essayistische ErzĂ€hltechnik Musils, S. 15 f.; HĂŒppauf : Von sozialer
Utopie zur Mystik, S. 27â32 ; Pekar : Die Sprache der Liebe, S. 19 f.; Altmann : TotalitĂ€t und
Perspektive, S. 180â183 ; vgl. dazu die Hinweise in RuĂegger : Kinema mundi, S. 14 f., bes. Anm.
12 ; Neymeyr : Psychologie als Kulturdiagnose, S. 44.
671 Vgl. dazu Bourdieu : Meditationen, S. 33 f. Der souverÀne Blick distanziert sich von der Welt
durch seine Indifferenz.
672 Zum historischen Modell Arnheims vgl. Brenner : Rathenau, S. 288 : âRathenau verachtet die
aus der Angst vor Strafe geborene Moral. FĂŒr ihn gibt es ethisch nur einen einzigen Imperativ :
Achte auf deine Seele. Eine Rathenausche Ethik unterscheidet intuitiv zwischen einem Guten,
das den Aufstieg der Seele befördert, und einem Schlechten, das ihn hemmt.â
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208