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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld1038
solcher [geistigen] Leistungenâ lĂ€ngst unumkehrbar und âzur Zeit Arnheims
[âŠ] schon weit gediehenâ gewesen, dass sie nur noch vorĂŒbergehend âdurch
Ă€ltere Vorurteile gehemmtâ werden konnte :
Die QuantitÀt der Wirkung und Wirkung der QuantitÀt, als neuer, sonnenklarer
Gegenstand der Verehrung, kÀmpfte noch mit einer veraltenden und erblindeten
adeligen Verehrung der groĂen QualitĂ€t, aber in der Vorstellungswelt waren schon
die tollsten Kompromisse daraus entstanden, wie gleich die Vorstellung des groĂen
Geistes selbst, die so, wie wir sie im letzten Menschenalter kennen gelernt haben,
eine Synthese von eigener und Kartoffelbedeutung sein muĂte, denn man wartete
auf einen Mann, der die Einsamkeit des Genies haben sollte, aber dabei doch die
GemeinverstÀndlichkeit einer Nachtigall. (MoE 399 f.)
Die aufgrund dieser Entwicklungen heiĂ ersehnte Verbindung dichterischer
GenialitĂ€t mit der PopularitĂ€t des beliebten Singvogels â von âGemeinverstĂ€nd-
lichkeitâ kann dabei wohl nur im uneigentlichen Wortsinn die Rede sein â wird
nun von keinem anderen Autor so perfekt verkörpert wie vom schreibenden
Industriellensohn Arnheim, der auf dieser vorteilhaften GeschÀftsgrundlage
angesichts der herrschenden Nachfrage mit gesteigerter Wirkung und Aner-
kennung rechnen kann :
Die des Guten beflissenen Menschen dieser Zeit stehen auf dem Standpunkt, daĂ
es ihnen wenig nĂŒtzt, wenn irgendwer Geist habe (es ist davon so viel vorhanden,
daĂ es auf etwas mehr oder weniger nicht ankommt, jedenfalls glaubt jeder fĂŒr seine
Person genug zu haben), sondern daĂ man den Ungeist bekĂ€mpfen mĂŒsse, wozu es
nötig ist, daà der Geist gezeigt, gesehen, zur Wirkung gebracht werde, und weil sich
dazu ein GroĂschriftsteller besser eignet als selbst ein gröĂerer Schriftsteller, den viel-
leicht nicht mehr so viele verstehen könnten, trĂ€gt man nach KrĂ€ften dazu bei, daĂ
die GröĂe recht ins GroĂe gerĂ€t. (MoE 430)
Indem die komparative âGröĂeâ, die schon ein Leitbegriff Aschenbachs ist713,
hier zum absoluten Positivum âdas GroĂeâ mutiert, sind AnklĂ€nge ans âGrobeâ
bzw. an einen gewissen Mangel an SubtilitÀt wohl unvermeidlich ; sie werden
von der reflektierenden ErzÀhlinstanz zumindest billigend in Kauf genom-
men. Von einer anderen Möglichkeit, die nur annÀherungsweise greifbare714,
713 Vgl. etwa Mann : Der Tod in Venedig, S. 510, wo es heiĂt, dass Aschenbachs groĂe Epik âin
kleinen Tagewerken aus aberhundert Einzelinspirationen zur GröĂe emporgeschichtetâ war.
714 Musil gibt in der Folge drei anschauliche Beispiele fĂŒr âGröĂeâ, die er an der FĂ€higkeit âdes
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208