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Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1107
gegeben hatte33 â klĂ€glich scheiterte.34 Bei allem mitschwingenden Ressen-
timent sollte Musil mit seiner vernichtenden Diagnose einer in erster Linie
auf das eigene Vorankommen ausgerichteten dichterischen und politischen
Strategie Werfels weitgehend recht behalten.
Auf der anderen Seite des ideologischen Spektrums steht nicht nur hin-
sichtlich des anthropologischen Konzepts der damals (und noch heute) wohl
ebenso beliebte ErzĂ€hler Ernst JĂŒnger. In seinem ersten groĂen Essay Der
Kampf als inneres Erlebnis (1922) beschreibt dieser den âKriegâ mit Heraklit
als âaller Dinge Vaterâ35 sowie im lebensphilosophischen Sinn als Ausbruch
und Befreiung der elementaren Triebnatur des Menschen. Demnach erfolgen
in Grauen, Blutrausch und Angst âRĂŒckschlĂ€ge lĂ€ngst bezwungen geglaubter
ZustĂ€nde, AusbrĂŒche elementarer Gewalten, die brodelnd kochten unter er-
starrter Krusteâ, und âoffenbaren die lebendige Macht uralter KrĂ€fteâ.36 Die
theoretische Grundlage von JĂŒngers poetischer Konzeption erlĂ€utert Gregor
Streim wie folgt :
Im Hintergrund steht hier die Annahme eines anthropologischen Dualismus von
Geist und Leib/Seele, also die Vorstellung einer spezifischen, im bestÀndigen Wider-
streit beider KrĂ€fte grĂŒndenden Antriebsstruktur des Menschen. Dieser Antrieb wirkt
auch in der Geschichte, die sich in dieser Perspektive als spannungsreiche Wech-
selbeziehung von zunehmender Zivilisierung einerseits und wachsendem Druck der
verleugneten und unterdrĂŒckten Natur andererseits darstellt. JĂŒnger greift dabei auf
das Modell des Lebenszyklus zurĂŒck und kombiniert es mit der Vorstellung einer te-
leologischen Entwicklung, etwa wenn er das Bild eines auf Schichten abgestorbener
Organismen immer höher wachsenden Korallenriffs verwendet. Dadurch erscheint
33 Vgl. Corino : Musil [1988], S. 336.
34 Dem am 21. November 1936 direkt an den stÀndestaatlichen Bundeskanzler Kurt Schuschnigg
gerichteten Antrag Musils auf eine staatliche Gnadenpension (vgl. Br 1, 747â749) wurde nach
zunĂ€chst positiven Signalen aus dem Bundeskanzleramt (vgl. Br 1, 762 f.) schlieĂlich nicht ent-
sprochen (vgl. Br 1, 767 u. 771). Dies liegt wohl nicht allein an der ablehnenden Haltung des
Finanzministeriums, sondern hĂ€ngt vermutlich auch mit Musils frĂŒheren politischen AktivitĂ€ten
zusammen : So ist in einem internen Schreiben der Bundes-Polizeidirektion Wien vom 5. Juni
1937 (P.B.304/37), das unter dem Vermerk âausserordentlicher Versorgungsgenussâ eine ansons-
ten positive LeumundserklĂ€rung enthĂ€lt, der Hinweis auf Musils Beteiligung an der âKundge-
bung Intellektueller [âŠ] anlĂ€Ălich der Wahlen 1927â und am Wahlaufruf âfĂŒr die sozialdemokra-
tische Parteiâ mit starken Unterstreichungen versehen (Herrn Dir. Strempfl vom Klagenfurter
Musil-Museum danke ich fĂŒr die Anfertigung einer Kopie) ; vgl. Wolf : Geist und Macht, S. 384,
Anm. 5.
35 JĂŒnger : Der Kampf als inneres Erlebnis, S. 11.
36 Ebd., S. 14 f.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208