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Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1127
sche Wissenschaft und bar jedes Adelsâ ; mehr noch : Da das durch relativ ge-
ringe LegitimitĂ€t ausgezeichnete Fach mit einigen seiner bekannten â hĂ€ufig
âjĂŒdischenâ â Vertreter â(zumal mit Mannheim) sĂ€mtlichen Formen extremer
Kritik zugeschlagenâ war, hat es âalle nur möglichen Makel in sich vereinigtâ.87
Musils âsoziologieaffineâ literarische Positionsnahme ist auch insofern bemer-
kenswert. Wie die vorliegende Arbeit deutlich machen sollte, wirkt seine
erzÀhlerische Sozioanalyse aus heutiger Sicht sogar teilweise avancierter als
die meisten damaligen wissenschaftlichen Gesellschaftsanalysen : WĂ€hrend
etwa Karl Mannheims wissenssoziologischer Ansatz mit seinem Theorem
der âStandortgebundenheitâ des Denkens die Relation zwischen âhistorisch-
soziale[r] Seinslageâ und âDenklageâ â also zwischen âsozialem Seinâ und
dem âBewusstseinâ bzw. den âgeistigen Gebildenâ der Menschen â nur recht
global im Sinne von Gruppen- und SchichtengegensÀtzen zu beschreiben
vermochte88, erlauben es die individualisierenden Möglichkeiten der ihre Ge-
genstĂ€nde âverkörperndenâ Literatur dem Schriftsteller, feinere und anschauli-
chere Distinktionen zu entwickeln und auch in sozialpsychologischer Hinsicht
den relationalen Gesellschaftsanalysen der soziologischen Feldtheorie Bour-
dieus nahezukommen. DarĂŒber hinaus ermöglicht es die narrative Form des
Romans, ĂŒber komplexe soziale PhĂ€nomene wie die Liebe nicht nur âin der
Sprache der Analyse zu sprechenâ, mithin der âGefahrâ zu entkommen, âins
âschulmeisterlich Komischeâ abzugleiten und, genauer gesagt, nur die Alterna-
tive von Lyrismus und Zynismus, MĂ€rchen und Fabel zu besitzenâ.89 Musils
erzÀhlerischer Essayismus zielt gerade darauf, derartige unbefriedigende Al-
ternativen reflexiv und darstellerisch zu ĂŒberwinden.
Eine wissenschaftsgeschichtliche Voraussetzung fĂŒr die theoretische Avan-
ciertheit Musils besteht sicherlich in seiner von Ernst Mach inspirierten relati-
onalen Epistemologie sowie vor allem in seiner konzeptionellen Orientierung
an der psychologischen Gestalttheorie (Köhler, Wertheimer, Lewin, Koffka),
aus welcher spÀter die psychologische Feldtheorie hervorgehen sollte.90 Nicht
von ungefÀhr verdankt auch die soziologische Feldtheorie Bourdieus wichtige
Anregungen der Gestaltpsychologie, wie jene frĂŒhen Arbeiten belegen, in de-
nen der Soziologe zustimmend Schriften Wertheimers und Lewins zitiert.91
Die in den vorstehenden AusfĂŒhrungen suggerierte AffinitĂ€t der Konzeption
87 Bourdieu : Die politische Ontologie Martin Heideggers, S. 59.
88 Vgl. etwa Mannheim : Ideologie und Utopie, S. 229â244, Zit. S. 239.
89 Bourdieu : Die mÀnnliche Herrschaft, S. 187.
90 Grundlegend dazu Lewin : Feldtheorie in den Sozialwissenschaften.
91 Vgl. etwa Bourdieu : Klassenstellung und Klassenlage, S. 44 u. 56.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208