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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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107Grundlagen der Poetik Musils Bereits in einem um 1910 entstandenen essayistischen Fragment, das offen- bar den „erste[n] poetologische[n] Versuch Musils“ darstellt100 und von FrisĂ© unter dem Titel Form und Inhalt veröffentlicht wurde, finden sich Reflexionen ĂŒber die spezifischen Möglichkeiten der fiktionalen und fingierenden Lite- ratur gegenĂŒber dem faktualen Essay. Darin bemerkt der noch junge Autor, jedem Roman liege wie auch jedem theoretischen Text „ein ‚Problem‘“ zu- grunde, doch : „Dieses Problem darf in Sachprosa nicht zu behandeln sein.“ Es könnte zwar „im Essay behandelt werden“, aber : „Das Problem im Essay behandelt wĂ€re ermĂŒdend, schleppend.“ (GW 8, 1300 f.) Die unterschiedli- chen Leistungen verkörpernder und diskursivierender Darstellungsverfahren sind Musil zufolge eng mit dem „merkwĂŒrdige[n] VerhĂ€ltnis von Denken und Tun“ verknĂŒpft. Seine frĂŒhen Überlegungen mĂŒnden in die Feststellung, das Getane sei im Unterschied zum bloß Gedachten „ein fordernd gewordenes Spiegelbild“ und fĂŒhre – im gegenwĂ€rtigen Kontext noch wichtiger – „leben- dig gewordene Konsequenzen sonst wieder verloren gegangener Dinge in uns“ vor Augen. Die Erkenntnis der normativen und exemplarischen Wirkung literarisch konstruierter sozialer Praxis hat eminente poetologische Implika- tionen : „Man spricht Gedanken im Roman [
] nicht aus, sondern lĂ€ĂŸt sie anklingen. Warum wĂ€hlt man dann nicht lieber den Essay ? Eben weil diese Gedanken nichts rein Intellektuelles sind, sondern ein Intellektuelles verfloch- ten mit Emotionalem. Weil es mĂ€chtiger sein kann, solche Gedanken nicht auszusprechen, sondern sie zu verkörpern.“ (GW 8, 1301) Wie das Modalverb ‚kann‘ des zuletzt zitierten Satzes leise andeutet, gibt es indes auch Gedan- ken, die einer ausschließlich verkörpernden Darstellung gar nicht zugĂ€nglich sind. Der erst spĂ€ter entwickelte essayistische ErzĂ€hlstil des Mann ohne Ei- genschaften wird deshalb darauf zielen, die jeweiligen Vorteile der beiden Dar- stellungsverfahren zu wechselseitigem Gewinn miteinander zu verbinden und eine strenge Grenzziehung zwischen fiktionaler Literatur und faktualem Essay produktiv zu subvertieren.101 100 So Bonacchi : Die Gestalt der Dichtung, S. 126. 101 Eine theoretische Reflexion dieser Strategie, welche die in Form und Inhalt angestellten Be- trachtungen wieder aufnimmt, findet sich im Abschnitt „Der Geist des Gedichts“ des Aufsatzes Literat und Literatur (vgl. GW 8, 1211–1217). Angesichts der im Korrekturdurchgang bemerk- ten „Überladenheit des Romans mit Essayistischem“ erklĂ€rt sich Musil in einem recht resigna- tiven Eintrag seines Arbeitshefts 31 vom 9. MĂ€rz 1930 das grĂ¶ĂŸere „GedĂ€chtnis fĂŒr Faktisches“ u. a. damit, dass „wir Intellektuelles nicht im objektiven Zustand bewahren, sondern es uns einordnen“, sowie mit der entwicklungspsychologischen Hypothese, dass „Tatsachenberichte an eine viel ursprĂŒnglichere Einstellung oder Funktion sich wenden. Gefahrstellung ; der Ur- mensch muß Vorkehrungen treffen, wenn ihm berichtet wird, da und dort sei etwas geschehen. Möglicherweise ist die Form dieser Reaktion noch in uns erhalten. Ich kann mir freilich nicht
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Titel
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Untertitel
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Autor
Norbert Christian Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
1224
Schlagwörter
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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