Web-Books
im Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Geisteswissenschaften
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Seite - 117 -
  • Benutzer
  • Version
    • Vollversion
    • Textversion
  • Sprache
    • Deutsch
    • English - Englisch

Seite - 117 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Bild der Seite - 117 -

Bild der Seite - 117 - in Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts

Text der Seite - 117 -

117Grundlagen der Poetik Musils ErzĂ€hlpraktisch ergibt sich daraus etwa die Technik der narrativen Ausspa- rung und bloß impliziten Andeutung von wichtigen Elementen der erzĂ€hlten Handlung, die den Lesern suggeriert : „[I]n der Zwischenzeit ist also etwas ge- schehen, das nicht erzĂ€hlt wurde“, woraus folgt, dass „die Personen [
] nicht nur an ihren Stellen im Buch, sondern selbstĂ€ndig [leben]“ (M II/1/145), „auch dort wo sie nicht erscheinen“ ; „sie kommen und gehen, und stets et- was verĂ€ndert“ (Tb 1, 149).118 Wie Musil zu Beginn seiner Arbeit am großen Roman anmerkt, wĂŒrde man diese „Wirkung“ durch eine ausdrĂŒckliche ‚au- thorial intrusion‘ hingegen „zerstören“ (M II/1/145). Es ist offensichtlich, dass der spĂ€ter fertiggestellte Text des Mann ohne Eigenschaften mit seinen vielen essayistischen Passagen und auch mit seinen bisweilen ausfĂŒhrlichen Hinter- grundinformationen ĂŒber einzelne wichtige Figuren dieser erzĂ€hltechnischen Maxime keineswegs uneingeschrĂ€nkt folgt und dennoch ein Eigenleben der Figuren nahelegt. Anders verhĂ€lt es sich aber mit den im gegenwĂ€rtigen Zu- sammenhang zentralen Prinzipien der Figurenkonstitution, die dort durch- aus den Ă€lteren konzeptionellen Überlegungen entsprechen. „Die Kunst des Schreibens besteht darin, Situationen zu schaffen, die das zu Sagende den Personen gemĂ€ss machen, andrerseits es so auszuwĂ€hlen, suggestive Kno- tenpunkte so auszuwĂ€hlen, dass die Personen nicht viel zu sagen haben.“ (M II/1/145) Überbordende GesprĂ€chspassagen gibt es im Mann ohne Eigenschaf- ten gar nicht so oft – zu beobachten sind sie vor allem zwischen Ulrich und Agathe im fragmentarischen kanonischen und im apokryphen Dritten Teil. Was die spezifische Charakterkonstitution seiner nur in bestimmter Hin- sicht ‚eigenschaftslosen‘ Hauptfigur angeht119, die ja – im Unterschied etwa zu dem als Durchschnittsmensch angelegten Protagonisten Hans Castorp im Zauberberg – unter intellektuellen Lesern durchaus identifikatorische Projekti- onen auszulösen vermag, lĂ€sst sich Musil ebenfalls von seinen psychotechni- schen Kenntnissen inspirieren. „Der Mensch als soziales Tier möchte sich aus- zeichnen, gelobt werden. Daher die Suggestivkraft des Mutigen, Starken udgl. Aus dem gleichen Grunde auch die Vorliebe fĂŒr die Tugend. Als Kind möchte jeder gut, schön, reich, stark sein.“ (M II/1/144) Musil entscheidet sich dem- entsprechend fĂŒr einen zwar nicht sonderlich aktiven, aber durchaus positiven und starken – weil selbstĂ€ndigen, gutaussehenden, wohlhabenden und sport- 118 Texttheorien, die diese Suggestion der ErzĂ€hlung prinzipiell in Abrede stellen, gleichen unfrei- willig einer Marotte der Mrs. Ramsay aus Virginia Woolfs Roman To the Lighthouse, die von der ErzĂ€hlstimme in erlebter Rede mitgeteilt wird : „[I]t was extraordinary to think that they had been capable of going on living all these years when she had not thought of them more than once all that time.“ (Woolf : To the Lighthouse, S. 133 [Tl. 1, 17. Kap.]) 119 Vgl. dazu Kap. I.3.1.
zurĂŒck zum  Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
FWF-E-Book-Library
Titel
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Untertitel
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Autor
Norbert Christian Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
1224
Schlagwörter
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
Web-Books
Bibliothek
Datenschutz
Impressum
Austria-Forum
Austria-Forum
Web-Books
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion