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126 Teil I: Grundlegung
blematik daraus, dass der Mann ohne Eigenschaften â wie bereits erwĂ€hnt â kei-
ner realistischen Poetik folgt, sondern ein erzÀhlerisches Hauptwerk nicht nur
der österreichischen, sondern der europÀischen literarischen Moderne dar-
stellt.141 Der avantgardistische Roman ist mithin ein Anwendungsfall, an dem
zu ĂŒberprĂŒfen sein wird, inwiefern sich die Bourdieuâsche Sozioanalyse nicht
allein auf realistische, sondern auch auf dezidiert moderne Literatur anwen-
den lÀsst. Im Unterschied zu der in mancher Hinsicht vergleichbaren Arbeit
Stefan Howalds, die jedoch gerade die Hauptfiguren Ulrich und Agathe aus
ihrer soziologisch interessierten Figurenanalyse ausspart142, oder auch zur lite-
ratursoziologischen Untersuchung Hartmut Böhmes, die sich gerade auf diese
beiden Figuren konzentriert143 â weshalb beide verdienstvollen Monografien
jeweils nur ein recht unvollstÀndiges Bild von der literarisch entworfenen
sozialen Welt vermitteln und keinen GesamtĂŒberblick erlauben144 â, gilt das
Interesse der folgenden Ăberlegungen allen fĂŒr die skizzierte Fragestellung
relevanten Romanfiguren, im besonderen MaĂ aber den beiden zentralen Pro-
tagonisten. Auf jeweils unterschiedliche Weise erscheinen sowohl Ulrich als
auch Agathe als âKnotenpunktâ und âHandlungstrĂ€ger des interdiskursiven
Experimentierensâ145, das aber eben nicht in einem gesellschafts- und herr-
schaftsfreien Raum, sondern in einem konkret bestimmbaren Macht-Feld
angesiedelt ist146, gegen dessen strukturelle ZwÀnge es sich hÀufig wendet.
DarĂŒber hinaus werden auch die von Böhme und Howald ausgeklammerten
figuralen Interaktionen und Konstellationen zu berĂŒcksichtigen sein â eine
Aufgabe, der sich bisher vor allem die anregenden Arbeiten Thomas Pekars
und Jelka Schilts gewidmet haben, die durch ihre rigoros strukturalistische
141 Es handelt sich bei vorliegender Untersuchung somit in mehrerer Hinsicht um ein methodo-
logisches GegenstĂŒck zu Pollak : Aktionssoziologie im intellektuellen Feld â einer feldtheore-
tischen Arbeit ĂŒber den Wiener Musil-Zeitgenossen Karl Kraus und seine Essayistik, die v. a.
eine Laufbahnanalyse ist.
142 Dazu Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 370, Anm. 1. Ein weiterer
Unterschied besteht darin, dass Howald sich besonders mit der Herausbildung der Figuren in
den verschiedenen Entwurfsstufen beschÀftigt, wÀhrend hier der abgeschlossene Romantext
(inklusive FortsetzungsentwĂŒrfe) in den Fokus der Analyse gestellt wird. Die Ergebnisse Ho-
walds und die Figurengenese generell sollen jedoch stets berĂŒcksichtigt werden.
143 Vgl. Böhme : Anomie und Entfremdung, S. 174â382 ; dazu die ausfĂŒhrliche Kritik von Freese :
Zur neueren Musil-Forschung, S. 119â124.
144 Nach Freese, ebd., S. 126, âbleiben die einzelnen Bereiche [âŠ] in ihrer BeschrĂ€nkung auf
die NamentrĂ€ger [sic] isoliertâ, wĂ€hrend Interaktionen nur âhin und wieder angedeutetâ
werden.
145 Moser : Diskursexperimente im Roman, S. 187.
146 Vgl. dazu Kap. II.1.3.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208