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128 Teil I: Grundlegung
der die Fragestellungen der anderen vorstrukturiert, indem seine Ergebnisse
den Rahmen sÀmtlicher Aktionen und Interaktionen des Romanpersonals
abstecken und auf deren Interpretation mit unterschiedlichen Konsequenzen
einwirken. Sodann (II.2.) werden zum einen das Erbe, der Erwerb und die
Akkumulation der verschiedenen Kapitalsorten durch die einzelnen Romanfi-
guren rekonstruiert150, zum anderen die Herausbildung und Wirksamkeit ihrer
unterschiedlichen individuellen Habitus.151 Im letzten Abschnitt des Hauptteils
der kulturellen Produktion vgl. Bourdieu : Das intellektuelle Feld ; ders.: Die Regeln der Kunst,
S. 340â445. Zu dem im Roman dargestellten fiktionalen Macht-Feld vgl. ebd., S. 22â31 ; mehr
dazu unten im Kap. II.1.3.
150 Vgl. Bourdieu : Ăkonomisches Kapital â Kulturelles Kapital â Soziales Kapital : âKapital ist
akkumulierte Arbeit, entweder in Form von Material oder in verinnerlichter, âinkorporierterâ
Form.â (S. 49) Es âkann auf drei grundlegende Arten auftreten [âŠ] : Das ökonomische Kapital ist
unmittelbar und direkt in Geld konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisie-
rung in der Form des Eigentumsrechts ; das kulturelle Kapital ist unter bestimmten Vorausset-
zungen in ökonomisches Kapital konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisie-
rung in Form von schulischen Titeln ; das soziale Kapital, das Kapital an sozialen Verpflichtun-
gen oder âBeziehungenâ, ist unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls in ökonomisches Ka-
pital konvertierbar und eignet sich besonders zur Institutionalisierung in Form von Adelstiteln.â
(S. 52 f.) Daneben existiert noch die universelle Form des symbolischen Kapitals, das ganz
allgemein als gesellschaftliche Anerkennung verstanden wird. Das kulturelle Kapital nun kann
seinerseits âin drei Formen existieren : (1.) in verinnerlichtem, inkorporiertem Zustand, in Form
von dauerhaften Dispositionen des Organismus, (2.) in objektiviertem Zustand, in Form von kul-
turellen GĂŒtern, Bildern, BĂŒchern, Lexika, Instrumenten oder Maschinen, in denen bestimmte
Theorien und deren Kritiken, Problematiken usw. Spuren hinterlassen oder sich verwirklicht
haben, und schlieĂlich (3.) in institutionalisiertem Zustand, einer Form von Objektivation, die
deswegen gesondert behandelt werden muĂ, weil sie â wie man beim schulischen Titel sieht
â dem kulturellen Kapital, das sie ja garantieren soll, ganz einmalige Eigenschaften verleiht.â
(S. 53)
151 Vgl. Bourdieu : Die feinen Unterschiede, S. 277â286 : â[D]er Habitus ist Erzeugungsprinzip ob-
jektiv klassifizierbarer Formen und Praxis und Klassifikationssystem (principium divisionis) dieser
Formen. In der Beziehung dieser beiden den Habitus definierenden Leistungen : der Hervor-
bringung klassifizierbarer Praxisformen und Werke zum einen, der Unterscheidung und Bewer-
tung der Formen und Produkte (Geschmack) zum anderen, konstituiert sich die reprÀsentierte
soziale Welt, mit anderen Worten der Raum der Lebensstile.â (S. 277 f.) Zur Soziogenese des Habi-
tus vgl. Bourdieu : Sozialer Sinn, S. 97â121 : âDie Konditionierungen, die mit einer bestimmten
Klasse von Existenzbedingungen verknĂŒpft sind, erzeugen die Habitusformen als Systeme dau-
erhafter und ĂŒbertragbarer Dispositionen, als strukturierte Strukturen, die wie geschaffen sind,
als strukturierende Strukturen zu fungieren, d. h. als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen
fĂŒr Praktiken und Vorstellungen, die objektiv an ihr Ziel angepaĂt sein können, ohne jedoch
bewuĂtes Anstreben von Zwecken und ausdrĂŒckliche Beherrschung der zu deren Erreichung
erforderlichen Operationen vorauszusetzen, die objektiv âgeregeltâ und âregelmĂ€Ăigâ sind, ohne
irgendwie das Ergebnis der Einhaltung von Regeln zu sein, und genau deswegen kollektiv
aufeinander abgestimmt sind, ohne aus dem ordnenden Handeln eines Dirigenten hervorge-
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208