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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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154 Teil I: Grundlegung verstanden werden soll, darf sich vom bereits Bekannten nicht zu weit entfernen. So unvergleichlich sich das Unsagbare zuweilen in einer GebĂ€rde, einer Konfigura- tion, einem GefĂŒhlsbild oder einem Geschehnis ausdrĂŒcken kann, so geschieht es doch immer nur in der unmittelbaren Nachbarschaft des Wortes, gleichsam als etwas Schwebendes, um dessen festen Sinn, der das eigentliche Element der Menschlich- keit ist. (GW 9, 1718) Musil zufolge hĂ€ngt die Interpretation von ErzĂ€hlliteratur im Unterschied zur Deutung anderer KĂŒnste nicht vom mitgebrachten „Reichtum an Interpretati- onshilfen“ der Rezipienten ab, sondern kann vom expliziten ‚Ausdrucksreich- tum‘ der Werke selbst befördert werden, wodurch dieser also die intellektuelle „Verarbeitung“ unmittelbar im Kunstgenuss – und nicht erst retrospektiv239 – zu stimulieren sowie etablierte Wahrnehmungs- und Deutungsmuster zu sprengen vermag.240 Daraus resultiert fĂŒr ihn das grĂ¶ĂŸere Differenzierungs- potenzial der Literatur, wohingegen er die traditionelle Ă€sthetische Doktrin, dass „der Geist und das Denken der Menschen“ in der kĂŒnstlerischen Dar- stellung „nicht unmittelbar ausgedrĂŒckt werden dĂŒrfe“, bloß als „hartnĂ€ckiges Vorurteil“ abqualifiziert (GW 9, 1718). Voraussetzung dafĂŒr und zugleich Folge davon ist die in den AnsĂ€tzen zu neuer Ästhetik zwar implizite, aber umso for- ciertere Revalorisierung der extradiegetischen ErzĂ€hlstimme, die Musil mit Entschiedenheit gegen alle Konventionen der damals etablierten ErzĂ€hllite- ratur betrieben hat, weshalb er bis heute immer wieder der erzĂ€hltechnischen Antiquiertheit241 oder gar der erzĂ€hlerischen UnfĂ€higkeit geziehen wird.242 Aus all diesen Überlegungen lĂ€sst sich folgende These ableiten : Musil entwickelt in der intermedialen Auseinandersetzung mit dem Film bzw. mit dessen damals avanciertester Theorie nicht nur seine Vorstellung vom ‚an- deren Zustand‘ – und damit die Basis seines Ă€sthetischen Konzeptes ĂŒber- haupt243 –, sondern vollzieht damit auch und nicht zuletzt eine prononciert 239 Vgl. dagegen ebd., S. 134. Insofern wĂ€re auch folgender Befund Vermettens zu relativieren, der ihrer zentralen These verpflichtet ist : „Der Akzent wird von Musil auf den Rezipienten gelegt.“ (S. 128) 240 Dabei sollte freilich nicht unterschlagen werden, dass sich die ‚nicht-ratioĂŻde‘ Bildlichkeit auch innerhalb der essayistischen ErzĂ€hlstimme Musils findet, die somit nicht allein der im engeren Sinn rationalen Reflexion ‚ratioĂŻder‘ und ‚nicht-ratioĂŻder‘ Sachverhalte dient. 241 Vgl. zuletzt Becker : Von der „Trunksucht am TatsĂ€chlichen“, bes. S. 159 f. 242 Vgl. Pars pro Toto die in der Einleitung diskutierte und nicht sonderlich originelle, ja sĂ€mtliche GemeinplĂ€tze aufgreifende Totalvernichtung von Reich-Ranicki : Der Zusammenbruch eines großen ErzĂ€hlers, S. 187–193, bes. S. 193. 243 Vgl. dazu etwa Heydebrand : Die Reflexionen Ulrichs, S. 105 f.; weniger hilfreich : Stefanek : Illusion, Ekstase, Erfahrung ; Kortian/Nercessian : L’art moderne est-il si primitif ?
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Titel
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Untertitel
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Autor
Norbert Christian Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
1224
Schlagwörter
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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