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173Grundbegriffe
des Romankonzepts
Folgt man der inneren Konsequenz dieser Argumentation, der zufolge der ab-
strakte Begriff mehr und mehr die ausfĂŒhrliche konkrete Beschreibung ersetzt,
dann resultierte daraus schlieĂlich das Ende der Literatur :
Die Literatur wird um diese AbkĂŒrzungen nicht herumkommen. / Die Wissenschaft
nimmt ihr Terrain ab, die Psychoanalyse ist nur solange eine finster drohende und
lockende Nachbarmacht fĂŒr den Dichter als er wenig von ihr versteht und sie ein
Durcheinander von wissenschaftlicher GenialitÀt und Journalismus bildet. Sobald ein
psychologisches Gebiet geklÀrt ist, wird es ebensowenig dichtbar sein wie eine um-
stÀndliche Beschreibung der Wunder einer Elektrisiermaschine. (GW 8, 1404, nach
M VI/2/21)
Die prekĂ€ren Implikationen dieser Worte fĂŒr jede Art von Dichtung liegen auf
der Hand. Dennoch hÀlt Musil das erzÀhlerische Beharren auf der Individua-
litĂ€t des menschlichen Erlebnisses fĂŒr durchaus angemessen, wenn dabei das
Wissen um dessen erkenntnistheoretische RelativitĂ€t nicht ĂŒber Bord gewor-
fen wird, wie der âVergleich mit dem VerhĂ€ltnis zu den Ă€uĂeren Wissenschaf-
tenâ zeige :
Noch so umfassende Gleichungen elektrodynamischer Wirbelbewegungen ersetzen
nicht die Beschreibung eines Gewitters. Ich meine, man soll das, was ĂŒbrig bleibt, das
Erlebnis nennen. Nicht im impressionistischen Sinn, der von Gesetzen der Erschei-
nungen nichts wissen will und sich aufs GemĂŒt beruft. Oder mit der ĂŒberheblichen
leeren Ichgeste von Hanns Heinz Ewers bis Bert Brecht. Auch die Kombinationen
der Empfindungen zu Ichen sind typologisch. [âŠ] Dagegen ist das Individuum etwas
absolut Einmaliges so wie nur irgendein in Serien erzeugter Schraubenbolzen. [âŠ]
Wenn das auch hundertfÀltig geschieht, das Typische eines Ereignisses hindert das
Einmalige nicht ; beides ist an ihm. [âŠ] Wir können Tatsachen berechnen nach dem
Schema : Wenn â so, aber wir können die Wennâs nicht erschöpfen. (GW 8, 1404,
nach M VI/2/21)
Mit dieser Reflexion, die den Eigenwert des Individuellen trotz der radikalen
Verabschiedung jeglicher Vorstellung von subjektiver âGestalthaftigkeitâ oder
âEigenschaftlichkeitâ hervorhebt, umreiĂt Musil die erkenntnistheoretischen
Voraussetzungen und Grenzen der Möglichkeit des ErzÀhlens unter den Be-
dingungen einer ânegativenâ Anthropologie. Anders formuliert :
[D]ie Psychologie, Charakterologie, Typologie, Soziologie fĂŒhrt zu einer Vorstellung
der menschlichen Existenz im sehr unbekannten Universum. Aussagen ĂŒber die Exi-
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208