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242 Teil I: Grundlegung
sichernde körperliche Erkenntnis einschlieĂen â ein Erfassen, das von dem gewöhnlich
mit der Vorstellung des Erfassens verbundenen absichtlichen, bewuĂten Entziffern
völlig verschieden ist.208
Mit anderen Worten : âWir lernen durch den Körper. Durch diese permanente,
mehr oder weniger dramatische, aber der AffektivitÀt, genauer gesagt dem
affektiven Austausch mit der gesellschaftlichen Umgebung viel Platz einrÀu-
menden Konfrontation dringt die Gesellschaftsordnung [und nicht nur diese,
N. C. W.] in die Körper ein.â209 Akzeptiert man den solcherart umrissenen
Vorgang ânichtbegrifflicherâ, âpraktischer Erkenntnisâ, die von einer zweitau-
sendjÀhrigen Philosophiegeschichte mehr ver- als aufgedeckt worden ist210,
dann wird der nicht erst von Bourdieu und Foucault211, sondern bereits von
dem âam Leitfaden des Leibesâ212 philosophierenden Nietzsche inkriminierte
âscholastische[ ] Blick auf den Leib als Ă€uĂeres Dingâ213 grĂŒndlich erschĂŒttert.
Auf eine Ăberwindung bzw. ErgĂ€nzung der rein begriffslogischen und von
den affektiven menschlichen BedĂŒrfnissen abstrahierenden Vorstellung der
Erkenntnis zielt auch Ulrichs Programm des essayistischen Denkens, das etwa
bei der Diskussion um die Moral nicht von deren prekÀrer Genealogie abstra-
hieren kann.214 In Anlehnung an den âLehrmeister seiner Generationâ (MoE
1988), ja seinen eigenen âLehrer Nietzscheâ (M II/8/237) hĂ€lt Ulrich es fĂŒr
die âwahrscheinlichsteâ ErklĂ€rung,
208 Bourdieu : Meditationen, S. 174.
209 Ebd., S. 181.
210 Vgl. ebd., S. 176 : âZwanzig Jahrhunderte diffuser Platonrezeption und christianisierender Deu-
tungen des Phaidon fĂŒhrten dazu, den Körper nicht als Instrument, sondern als Hemmschuh
der Erkenntnis zu suchen und den spezifischen Charakter praktischer Erkenntnis zu ignorie-
ren, die sei es als schlichtes Hindernis auf dem Weg der Erkenntnis, sei es als bloĂer Anfang
eines Wissens behandelt wird.â
211 Zur herausragenden Rolle des Körpers fĂŒr die menschliche Erkenntnis vgl. auch Foucault : Die
Heterotopien/Der utopische Körper, S. 34 : âDenn um ihn herum sind die Dinge angeordnet.
Nur im VerhĂ€ltnis zu ihm â und zwar wie im VerhĂ€ltnis zu einem Herrscher â gibt es ein Oben
und Unten, ein Rechts und Links, ein Vorn und Hinten, ein Nah und Fern. Der Körper ist der
Nullpunkt der Welt, der Ort, an dem Wege und RĂ€ume sich kreuzen.â
212 Vgl. etwa den bekannten Aphorismus Nr. 26[374] aus Nietzsche : Nachgelassene Fragmente
Juli 1882 bis Herbst 1885, S. 249 : âAus der Selbstbespiegelung des Geistes ist noch nichts Gutes
gewachsen. Erst jetzt, wo man auch ĂŒber alle geistigen VorgĂ€nge sich am Leitfaden des Leibes
zu unterrichten sucht [âŠ], kommt man von der Stelle.â Dazu auch die Aphorismen Nr. 36[35]
(ebd., S. 565) und 37[4] (ebd., S. 576â579). Wie spĂ€ter Foucault und Bourdieu grenzt sich schon
Nietzsche âvon aller Platonischen und Leibnitzischen [sic] Denkweiseâ ab (ebd., S. 692).
213 Bourdieu : Meditationen, S. 171.
214 Vgl. Frank : Auf der Suche nach einem Grund, S. 321.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208