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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld278
Durch das zuletzt recht konventionell erzÀhlte Nicht-Funktionieren von Ord-
nung wird somit nicht nur die metafiktionale SelbstreferenzialitÀt des literari-
schen Textes bezeichnet, sondern eben auch dessen zugleich wirksame auĂer-
textuelle Referenz, die zumindest im mentalen Prozess der LektĂŒre mehr als
bloà Papier, DruckerschwÀrze und Buchstabenkombinationen evoziert.49 Ge-
gen eine zu einseitige Betonung der AutoreferenzialitÀt von Literatur hat sich
ĂŒbrigens bereits Musil selber ausgesprochen, und zwar ausdrĂŒcklich im Hin-
blick auf sein Romanprojekt ; so bezeichnet er es 1920 in seinem Arbeitsheft
8 als âlĂ€cherlich, wenn die Zeitungen aus Neid glauben machen wollen, daĂ
die Literatur eben nur Literatur sei ; sie ist gespenstisches Lebenâ (Tb 1, 393).
Hinter diesen Anspruch des Romanciers, der in seinem Roman ja expressis
verbis âdas Gespenstische des Geschehensâ darstellen will (GW 7, 939), sollte
dessen Deutung nicht zurĂŒckfallen, will sie nicht die soziale Relevanz von Li-
teratur prinzipiell abstreiten und damit ihren Gegenstand und sich selbst als
wissenschaftliche Praxis marginalisieren. In der erzÀhlten Welt wird nicht nur
um abstrakte Ordnung gerungen, sondern auch um das konkrete Leben des
einzelnen Unfallopfers : âAbwechselnd knieten Leute bei ihm nieder, um et-
was mit ihm anzufangen ; man öffnete seinen Rock und schloà ihn wieder,
man versuchte ihn aufzurichten oder im Gegenteil, ihn wieder hinzulegen ;
eigentlich wollte niemand etwas anderes damit, als die Zeit ausfĂŒllen, bis mit
der Rettungsgesellschaft sachkundige und befugte Hilfe kĂ€me.â (MoE 10 f.)
Die zuletzt zitierten Worte zeigen freilich, dass in einer Epoche fortschreiten-
der gesellschaftlicher Ausdifferenzierung auch das bloĂe Helfen nicht mehr
so einfach von der Hand geht wie vordem ; es bedarf einer hochspezialisier-
ten âRettungsgesellschaftâ, um âsachkundige und befugte Hilfeâ leisten zu
49 Vgl. dagegen ebd., S. 162 : âEs geht [âŠ] von Anfang an und ganz grundsĂ€tzlich um die Literatur,
um die Bedingungen ihrer Existenz.â Wenn Eisele seine âThese der privilegierten Stellung der
Literaturproblematikâ im Mann ohne Eigenschaften dadurch zu plausibilisieren sucht, dass er die
behauptete âEntfremdung [âŠ] zwischen Literatur und RealitĂ€tâ in der Deutung des Unfalls als
âerste[m] Auftritt des Protagonistenâ â und damit des recht beilĂ€ufig erwĂ€hnten Verkehrsopfers
als Ulrich â ausmacht (S. 163 f.), dann eröffnet er eine Gleichung mit mehreren Variablen. Diese
bezieht ihre Suggestivkraft allererst aus dem von ihr ausgelösten VerblĂŒffungseffekt, der auf einer
unbelegbaren Hypothesenkette beruht und gleichwohl Raum fĂŒr interessante Spekulationen
eröffnet : âDie Beweiskraft [?] dieser Analogie [zwischen Ulrich und dem Unfallopfer, N. C. W.]
verstĂ€rkt sich, wenn man in Rechnung stellt, daĂ ein VerunglĂŒckter in aller Regel gĂ€nzlich âei-
genschaftslosâ ist, was seine IdentitĂ€t angeht. [âŠ] Das Verkehrsopfer, Objekt sinn- und zielloser
BemĂŒhungen, ist der Anti-Held per se und nimmt damit den programmatischen âPassivismusâ
Ulrichs vorweg. Auf beide richtet sich die Aufmerksamkeit, weil sie aus ihrem Ambiente her-
ausfallen, statt es zu reprĂ€sentieren.â (S. 164) Inwiefern Ulrich sein soziales âAmbienteâ durchaus
âreprĂ€sentiertâ, wird Gegenstand der diesbezĂŒglichen Darstellung in Kap. II.2.1 sein.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208