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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld316
des Textes konstruierten Habitus produziert dabei konsequent die einzel-
nen ĂuĂerungen und Handlungen der Romanfiguren, âohne die ursprĂŒngli-
che Formel je zu vergröĂern. Denn jede Person ist vollstĂ€ndig in jeder ihrer
ĂuĂerungen enthalten, diese, als pars totalis, dazu bestimmt, als unmittelbar
verstĂ€ndliches Zeichen fĂŒr alle anderen, vergangenen wie zukĂŒnftigen, zu
fungieren.â158 Die âImplikationenâ der jeweiligen âFormelâ verschiedener Ro-
manfiguren, âdie antizipatorisch die Peripetien ihrer Interaktion einschlieĂtâ,
sind nun erzĂ€hlerisch so âzu entwickelnâ, dass an individuellen FĂ€llen die so-
zial signifikanten Distinktionen deutlich werden. Als romankonstitutiv fĂŒr die
Ăducation sentimentale betrachtet Bourdieu etwa Trennungslinien
zwischen den âKleinbĂŒrgernâ, die [âŠ] ĂŒber nichts anderes verfĂŒgen als ihren (guten)
Willen, und den Erben. Unter diesen gibt es solche, die ihre Rolle auf sich nehmen,
indem sie entweder [âŠ] sich damit begnĂŒgen, ihre Stellung zu wahren, oder aber
[âŠ] letztere zu verbessern suchen. [âŠ] Daneben gibt es aber auch noch die von
Geschichten heimgesuchten Erben, jene, die [âŠ] sich weigern, wenn nicht zu erben,
so doch von ihrem Erbe âbeerbtâ, das heiĂt, von ihm in Besitz genommen zu werden
und es auf sich zu nehmen.159
Damit wÀre neben der synchronen Ebene sozialer Unterschiede auch die ge-
rade fĂŒr lĂ€ngere ErzĂ€hltexte wichtige diachrone Ebene der generationellen
Weitergabe bzw. Ăbertragung akkumulierten Kapitals benannt160, die in Mu-
sils Roman eine zentrale Rolle spielt. Die romankonstitutiven Trennungslinien
sind hier freilich anders gelagert als bei Flaubert : So erweisen sich im Mann
ohne Eigenschaften Leona, Rachel, Moosbrugger und SchmeiĂer als Figuren
aus âniederenâ sozialen Schichten, die ĂŒber nichts anderes verfĂŒgen als ihren
Willen, ihre soziale Situation zu verbessern oder aber die sozialen Hierarchien
ĂŒberhaupt umzustĂŒrzen. Ihre Strategien sind von höchst unterschiedlicher
terschiede zwischen zwei Romanfiguren â im Fall der Ăducation sentimentale Deslauriersâ und
Hussonnets â dem Autor als Mangel ankreidet ; vgl. ebd., S. 31 f., Anm. 31, u. S. 43. Eine solche
Vorgehensweise setzt implizit voraus, dass der Autor bereits bei der Konzeption seines litera-
rischen Textes den Prinzipien gefolgt wÀre, die der Soziologe dann ex post aus ihm entwickelt
â eine absurde Vorstellung, die dogmatisch anmutet.
158 Bourdieu : Die Regeln der Kunst, S. 36.
159 Ebd., S. 31 f.
160 Vgl. dazu ebd., S. 35, Anm. 38 : âDas Vorhandensein struktureller Invarianten wie solcher, die die
Stellung des âErbenâ oder allgemeiner des Jugendlichen kennzeichnen und die den Identifikati-
onsbeziehungen zwischen Leser und Romangestalt zugrunde liegen können, dĂŒrfte denn auch
eine der Grundlagen fĂŒr jenen Ewigkeitscharakter sein, den die literarische Tradition bestimm-
ten Werken oder Gestalten zuschreibt.â
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208