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342 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
hÀngt : Die geltenden Taxonomien haben die Tendenz, die vornehmlichen
Eigenschaften der Herrschenden den vornehmlichen Eigenschaften der
Beherrschten nach einer Rangordnung (schmal/dick, groĂ/klein, elegant/
grobschlĂ€chtig, gewandt/schwerfĂ€llig usf.) entgegenzusetzen.â58 Aus diesem
komplexen Zusammenhang wird die enorme gesellschaftliche Konstruktions-
arbeit ersichtlich, die das scheinbar ânatĂŒrlicheâ Zusammenspiel von Körper
und Psyche erst generiert :
Die soziale Vorstellung von seinem Körper, der jeder Akteur sicherlich schon sehr frĂŒh
Rechnung tragen muĂ, wird [âŠ] durch die Anwendung einer sozialen Taxonomie
gewonnen, deren Prinzip dasselbe ist wie dasjenige der Körper, auf die sie angewendet
wird. Daher ist der Blick nicht ein einfaches, allgemeines und abstraktes Objektivie-
rungsvermögen, wie Sartre meint. Er ist ein symbolisches Vermögen, dessen Wirk-
samkeit abhÀngt von der relativen Position dessen, der wahrnimmt, und dessen, der
wahrgenommen wird, sowie dem Grad, in dem die Wahrnehmungs- und Bewertungs-
schemata von dem, auf den sie angewandt werden, gekannt und anerkannt werden.59
Der taxierende Blick auf den eigenen und fremden Körper ist demnach von
einer gewaltigen Relationierungsleistung abhÀngig, die nur in den psycholo-
gisch âgĂŒnstigstenâ FĂ€llen den Eindruck unproblematischer Einheit zwischen
Physis und Psyche erzeugt.
Die von Musils ErzĂ€hler thematisierte Problematik der âNichtĂŒberein-
stimmungâ zwischen Körper und Geist verweist ĂŒberdies darauf, dass ge-
rade hinsichtlich der MĂ€nnlichkeitsthematik eine methodisch kontrollierte
Unterscheidung zwischen symbolischer und sozialer Ebene erforderlich ist,
was nicht nur fĂŒr die fiktionale Gesellschaft Kakaniens, sondern auch fĂŒr die
faktuale Gesellschaft der Donaumonarchie gilt : So Ă€uĂert sich der Historiker
Schmale angesichts des zÀhen Beharrungsvermögens traditioneller Vorstellun-
gen von Geschlechtlichkeit eher zurĂŒckhaltend ĂŒber die tatsĂ€chliche soziale
Tragweite jenes hĂ€ufig angefĂŒhrten âZersetzungsprozess[es] des historischen
hegemonialen MĂ€nnlichkeitsmodellsâ : âSelbst wenn der Begriff der Krise der
MĂ€nnlichkeit fĂŒr die ersten zwei bis drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ĂŒber-
nommen wird, bleibt festzuhalten, dass kein wirklich neues MĂ€nnlichkeits-
modell entsteht. Modifizierungen und Radikalisierungen waren möglich.â60
Diese historische Diagnose kongruiert mit Bourdieus soziologischer Analyse
58 Bourdieu : Die mÀnnliche Herrschaft, S. 114.
59 Ebd., S. 114 f.
60 Schmale : Geschichte der MĂ€nnlichkeit in Europa, S. 232.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208