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507âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
Völker Oesterreich-Ungarns. Ethnographische und culturhistorische Schilderungen, N. C. W.]
ein âVolkâ nennt, ohne diesem Volk die QualitĂ€ten einer Nation zuzuerkennen [âŠ].530
Pollaks ideologiegeschichtliche Skizze verdeutlicht, dass Musil keineswegs
kontrafaktisch eine âpolitische und ideengeschichtliche Entwicklungâ Kaka-
niens âfingiertâ, wie Howald in orthodox marxistischer Manier behauptet,
indem er nach geschichtsphilosophischen Hauptantagonismen im Sinne des
Klassenkampfes sucht531, ohne sich um die konkreten historischen Erschei-
nungsformen des Wiener Antisemitismus zu kĂŒmmern.532 Wie bereits an-
gedeutet wurde, vertritt Fischel eine ideologiegeschichtlich gut situierbare
Schwundstufe533 des allmĂ€hlich zerfallenden GrĂŒnderzeitliberalismus, indem
er allein ökonomische Belange als ausschlaggebend betrachtet, was etwa seine
EinschĂ€tzung Leinsdorfs belegt : â[E]r âerkannte ihnâ, wie der GeschĂ€ftsaus-
druck lautet, in dem Augenblick, wo er die [Konto-]Ein
tragungen in seinem
GedĂ€chtnis prĂŒfte, âfĂŒrâ einen Mann von groĂer Wichtigkeit, denn die Lloyd-
Bank war eines jener Institute, durch die Graf Leinsdorf seine BörsenauftrÀge
besorgen lieĂ.â (MoE 133) Auch hinsichtlich Arnheims vermag Fischel trotz
aller tief empfundenen habituellen Abneigung gegen den prÀtentiösen Preu-
Ăen ânicht, von einem Mann mit solchen GeschĂ€ftsverbindungen zu behaup-
ten, daĂ man ihn nicht ernst nehmen dĂŒrfeâ (MoE 208). Weniger Empathie
530 Ebd., S. 109 u. 119 ; vgl. auch ebd., S. 120 und â differenzierend â Fuchs : Geistige Strömungen
in Ăsterreich, S. 8â10.
531 Zur orthodox marxistischen Antisemitismusdeutung vgl. HĂ€usler : Stereotypen des Hasses,
S. 24, unter Bezug auf Mohrmann : Antisemitismus, bes. S. 11.
532 Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 315 ; vgl. auch ebd., S. 316 : âTatsĂ€ch-
lich hat der Antisemitismus in der österreichischen Politik vor dem 1. Weltkrieg eine gewisse
Rolle gespielt, doch stellt die Auseinandersetzung zwischen dem Liberalismus und den âRas-
sentheorienâ keineswegs den zentralen Gegensatz der Epoche dar. Diese wird vielmehr durch
das Aufkommen der Arbeiterbewegung und des theoretischen Sozialismus bestimmt. [âŠ] Die
âVerdrĂ€ngungâ des Liberalismus durch den Antisemitismus geschieht nicht als Kampf zweier
antagonistischer Ideologien, sondern lÀsst sich begreifen als Ersetzung der vorherrschenden
bĂŒrgerlichen Politik durch eine neue Form, wobei der Antisemitismus immer droht, sich der
bĂŒrgerlichen Instrumentalisierung eigendynamisch zu entziehen. Musil beschreibt also nicht
die gesamte gesellschaftspolitische Entwicklung, sondern nur den fĂŒr seine Figur Fischel zen-
tralen Bereich der dominierenden bĂŒrgerlichen Politik.â Eine adĂ€quate Darstellung der âge-
samten gesellschaftspolitischen Entwicklungâ wĂ€re Musil demnach nur dann gelungen, wenn
er statt der angeblich nebensÀchlichen Antisemitismus-Problematik den Konflikt zwischen
bĂŒrgerlichen Kapitalisten und proletarischen Sozialisten gestaltet hĂ€tte. Vgl. dagegen den his-
torischen Ăberblick in Lichtblau : Antisemitismus 1900â1938.
533 Vgl. Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 315 : âAls politische Theorie
[âŠ] ist dieser Liberalismus nirgends ausgefĂŒhrt ; Leo Fischel reduziert ihn vielmehr auf blossen
ökonomischen Fortschrittsglauben.â
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208