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521âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
chen Wandel von Fischels beruflichem und privatem Verhalten : etwa in sei-
ner wenig romantischen Liaison mit Ulrichs ehemaliger Geliebten Leona, die
ebenfalls nur in den nachgelassenen Kapitelgruppen-EntwĂŒrfen ĂŒberliefert ist
(vgl. MoE 1497 f., nach M II/1/94 ; MoE 1552â1557, nach M II/1/97â103) und
mit der sich der erfolgreiche Spekulant auf recht grobe Weise fĂŒr seine zerrĂŒt-
tete Ehe schadlos hĂ€lt. Der assimilierte Bankprokurist jĂŒdischer Herkunft ver-
fÀllt mehr und mehr einer reinen Anthropologie à la baisse, wie etwa eine spÀte
Lebensweisheit zeigt, die er in einer Passage des Kapitels âGerdas RĂŒckkehrâ
aus den Kapitelgruppen-EntwĂŒrfen gegenĂŒber seiner Tochter zum Besten gibt :
Nur wenn du sein Begehren reizt oder wenn du es einschĂŒchterst, kannst du einen
Menschen genau dorthin bringen, wohin du willst.[562] Wer auf Stein bauen will, muĂ
sich der Gewalt und der Begierden bedienen. Dann wird der Mensch plötzlich eindeu-
tig, berechenbar, fest, und was du mit ihm erlebst, wiederholt sich ĂŒberall in der gleichen
Weise. Mit der GĂŒte kannst du nicht rechnen. Mit den schlechten Eigenschaften kannst
du rechnen. Gott ist wunderbar, mein Kind, er hat uns die schlechten Eigenschaften
gegeben, damit wir zu einer Ordnung kommen. (MoE 1624, nach M II/1/126)
Die historische Dominanz rassistischer Diskursivierung ĂŒber alle Standards
rational-aufgeklĂ€rten und um Gerechtigkeit bemĂŒhten Denkens erscheint
zuletzt durch das traurige Ende des liberalen jĂŒdischen Bankprokuristen als
risikofreudiger und gewissenloser Spekulant besiegelt563, was die Stereotypi-
sierung des geldgierigen Juden zur Selffulfilling Prophecy geraten lÀsst : Die
âspĂ€tere Entwicklung Fischels, seine vollstĂ€ndige Abkehr von geistigen Ide-
alen und die Zuwendung zum reinen Geld- und Machtstrebenâ564 ist keines-
wegs eine maliziöse und problematische Erfindung eines selbst nicht ĂŒber
lische Entscheidungen einzuspringen.â (Tb 1, 359) Seine Skizzen zur Figurengestaltung Leo
Fischels aus dem Erlöser-Projekt versieht er mit einem Verweis auf diese Stelle (vgl. Tb 2, 223,
Anm. 68a).
562 Fischel betreibt damit eine Pervertierung jener Dialektik des Begehrens, die Alexandre KojĂšve
im Anschluss an Hegel diagnostiziert hat (vgl. unten die EinfĂŒhrung in das Kap. II.2.2) und die
auch in gendertheoretischer Hinsicht fruchtbar gemacht werden kann. Dazu sowie zum Un-
terschied zwischen weiblich und mÀnnlich codiertem Begehren vgl. ebd. sowie den gesamten
Abschnitt ĂŒber die Frauenfiguren im Mann ohne Eigenschaften.
563 Vgl. Corino : Musil [2003], S. 1724, Anm. 127.
564 Howald : Ăsthetizismus und Ă€sthetische Ideologiekritik, S. 314. WĂ€hrend des Schreibprozesses
am Roman versieht Musil seine Notizen zur Figurengestaltung Leo Fischels im Arbeitsheft 36
mit Hinweisen auf frĂŒhere Eintragungen zur Substitution moralischer und sozialer ErwĂ€gun-
gen durch die Logik des Geldes und des kruden Utilitarismus ; vgl. Tb 2, 223, Anm. 68a ; Tb 2,
379, Anm. 18.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208