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551âZeitfigurenâ
1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ
Der Machtverlust ehemaliger Establishments im VerhÀltnis zu aufsteigenden
AuĂen seitergruppen löst in solchen FĂ€llen nicht nur aus wirtschaftlichen GrĂŒnden
einen erbitterten Widerstand, ein oft kaum mehr realitÀtsgerechtes Verlangen nach
Restau
ration der alten Ordnung aus, sondern auch deswegen, weil sich die alten Her-
renschichten durch einen solchen Verlust auf die gleiche Stufe der Macht- und Status-
hierarchie gestellt finden wie Gruppen, die sie zuvor als niedrigstehend, als menschlich
minderwertig, als Pöbel verachteten. Dadurch fĂŒhlen sie sich in ihrem eigenen Selbst-
wert erniedrigt.646
Dieses soziologische Modell, das neben ökonomischen auch sozialpsycholo-
gische Motive in Anschlag bringt, lĂ€sst sich nach 1918 an der âbesseren Gesell-
schaftâ der geschlagenen MittelmĂ€chte exemplarisch veranschaulichen :
[D]ie Vorstellung, daĂ die Mitherrschaft von Gruppen, die man als sozial niedriger-
stehend betrachtete, eine Erniedrigung seiner selbst und so auch Deutschlands be-
deute, war damals in den Kreisen, die in der Tradition des alten wilhelminischen
Establishments standen, weit verbreitet. Sie nannten und empfanden sich als ânati-
onalâ, da sie sich selbst im Grunde als die eigentlichen Vertreter der Nation und alle
AuĂenseiter, besonders die Arbeiterschaft mit ihren Organisationen und die Minder-
heitengruppe der deutschen Juden, als nicht zur eigenen Gesellschaft und nicht zur
deutschen Nation gehörig betrachteten.647
Entsprechendes gilt mit geringfĂŒgigen Unterschieden auch fĂŒr die deutsch-
sprachigen Eliten der ehemaligen Habsburgermonarchie. Aufgrund des als
Erniedrigung erfahrenen Rollen- und Funktionsverlusts der Armee und des
Adels sowie aus bĂŒrgerlicher Angst vor einem gesellschaftlichen Abstieg bil-
deten sich gegen Kriegsende im Deutschen Reich eine Vielzahl paramilitÀ-
rischer Freikorps, die sich mit dem Kriegsausgang sowie den gewandelten
politischen VerhÀltnissen nicht abfinden wollten und aus deren Kreisen sich
ĂŒber Jahre hinweg extrem gewaltbereite Demokratie- und Republikfeinde
rekrutierten.648 Eine Ă€hnliche Rolle spielten in Ăsterreich die faschistoiden
Heimwehren, deren Aufbau und Bewaffnung im Westen des Landes von bay-
erischen Freikorps unterstĂŒtzt wurde649, was die ideologische NĂ€he der pa-
646 Ebd., S. 243.
647 Ebd., S. 244 f.
648 Vgl. ebd., S. 244â260.
649 Vgl. Hanisch : Der lange Schatten des Staates, S. 289 ; McLoughlin : Heimwehr und Schutz-
bund, S. 47.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208