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592 Teil II: Romantext als KrÀftefeld
ter, sondern auch den innen- und auĂenpolitischen Frieden und das Wohler-
gehen ganzer Völker bedroht.
Meingasts philosophische und ideologische Aspirationen werden im nar-
rativen Kontext denn auch geradezu systematisch konterkariert, wofĂŒr Musil
eigens eine auf mehreren Ebenen verfahrende erzÀhlerische Ideologiekritik
in Anschlag bringt und sich dafĂŒr des konstruktiven Potenzials literarischer
Darstellung bedient.757 In einem ersten Schritt stellt er die faschistoide Ideo-
logie durch ihre figurale Kombination mit einer charakterlich entlarvenden
Vorgeschichte und deren recht durchsichtiger Sublimation sowie mit heimlich
gehegten sexuellen Vorlieben des Propheten in einen diskreditierenden Zu-
sammenhang, der im Unterschied zu zahlreichen anderen berichteten Details
kein biografisches Vorbild bei Klages hat.758 Wie Musil nÀmlich bereits lange
vor dem ersten persönlichen Auftritt Meingasts im Romanfortgang durch ei-
nen Bericht Clarisses mitteilen lĂ€sst, ist der frĂŒher âzĂŒgellose[ ] Freundâ (MoE
441) in ihrer Jugend zunĂ€chst als âHahn in allen Familien, die Töchter hat-
tenâ (MoE 292), bzw. als âVergnĂŒgungsmeister und Abgott aller MĂŒtterâ (MoE
438) in Erscheinung getreten, ja hatte sich als veritabler Erotomane betÀtigt,
der im Unterschied zu Walter âunheimlich geschickt in solchen Dingenâ war
(MoE 440), wie sich Clarisse nicht ohne Schaudern erinnert :
Meingast kĂŒĂte sie damals, wann es ihm beliebte. âSie erlauben, daĂ ich Sie jetzt
kĂŒsse !â sagte er höflich, ehe er es tat, und er kĂŒĂte auch alle ihre Freundinnen, und
Clarisse wuĂte sogar von einer, deren Rock sie seither nicht anschauen konnte, ohne
an scheinheilig niedergeschlagene Augen denken zu mĂŒssen. Meingast hatte es ihr
selbst erzĂ€hlt, und Clarisse â sie war damals doch erst fĂŒnfzehn Jahre alt gewesen !
â sagte zu dem völlig erwachsenen Dr. Meingast, wenn er ihr seine Abenteuer mit
757 Es wÀre in diesem Zusammenhang zu diskutieren, ob eine methodisch strenge Differenzie-
rung zwischen âFormâ und âInhaltâ des Meingastâschen Philosophierens, wie sie Howald : Ăs-
thetizismus und Àsthetische Ideologiekritik, S. 337 u. 340, in bester Absicht vornimmt, dem
völkischen Denken ĂŒberhaupt gerecht werden kann. Musils erzĂ€hlerische Ideologiekritik, die
Howald als ungenĂŒgend befindet, nimmt insofern Bourdieus soziologisches Analyseverfahren
vorweg, als sie â wohl auch aus gestalttheoretischen GrĂŒnden â just diese analytische Tren-
nung als scholastisch und gegenstandsinadÀquat ablehnt.
758 Corino : Musil [2003], S. 306 f., erwĂ€hnt, dass âMusil sich den grimmigen Scherz erlaubte, die
dubiosen Liebhaber Alicens wie den kleinen Roesler, Rudi Urbantschitsch und Sieczynski mit
Klages in einer Figur zusammenzufĂŒhrenâ. BestĂ€tigt wird die figurale Ăberblendung durch fol-
gende kompositorische Notiz aus dem Nachlass : âKonflikt Klages. Klages â der sich spĂ€ter sehr
verĂ€ndert hat â ist erst Rösler [âŠ], dann Urbantschitsch [âŠ], Szicynski [âŠ] besonders die
Bestimmtheit und Ăberlegenheit Szicynskis, die spĂ€ter philosophisch wirdâ (M VII/6/362 ; Tb
2, 863).
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208