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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld820
provokatorisch [âŠ] die PolaritĂ€t der Geschlechter herausarbeiteteâ.141 Bereits
aus der Sicht der vierziger Jahre des 20. Jahrhunderts prÀsentiert sich die Klei-
dungsordnung um 1900 als fremdes und befremdliches Schauspiel :
Die MÀnner trugen lange BÀrte oder zwirbelten zum mindesten einen mÀchtigen
Schnurrbart als weithin erkennbares Attribut ihrer MÀnnlichkeit empor, wÀhrend bei
der Frau das Korsett das wesentlich weibliche Geschlechtsmerkmal des Busens os-
tentativ sichtbar machte. Ăberbetont war das sogenannte starke Geschlecht gegen-
ĂŒber dem schwachen Geschlecht auch in der Haltung, die man von ihm verlangte,
der Mann forsch, ritterlich und aggressiv, die Frau scheu, schĂŒchtern und defensiv,
JĂ€ger und Beute, statt gleich und gleich. Durch diese unnatĂŒrliche Auseinanderspan-
nung im Ă€uĂeren Habitus muĂte auch die innere Spannung zwischen den Polen, die
Erotik, sich verstÀrken, und so erreichte dank ihrer unpsychologischen Methode des
VerhĂŒllens und Verschweigens die Gesellschaft von damals genau das Gegenteil.142
Die dadurch entstehende AtmosphÀre stÀndiger erotischer Anspannung wird
in Musils Roman einerseits an der unglĂŒcklich-verklemmten Gerda Fischel
veranschaulicht, andererseits an der wolllĂŒstig-ânymphomanischenâ Bonadea,
deren VerdrÀngungsleistung an der öffentlich sichtbaren OberflÀche im Ge-
heimen eine umso massivere erotische AktivitÀt in Gang setzt und damit einer
seinerzeit gÀngigen Struktur entspricht, die Zweig wie folgt beschrieben hat :
War die SexualitÀt schon nicht aus der Welt zu schaffen, so sollte sie wenigstens in-
nerhalb der Welt der Sitte nicht sichtbar sein. Es wurde also die stillschweigende
Vereinbarung getroffen, den ganzen Àrgerlichen Komplex weder in der Schule, noch
in der Familie, noch in der Ăffentlichkeit zu erörtern und alles zu unterdrĂŒcken, was
an sein Vorhandensein erinnern könnte.143
Ăber die ârealenâ gesellschaftlichen BetĂ€tigungsmöglichkeiten fĂŒr die stĂ€ndig
virulente, aber öffentlich verdrÀngte SexualitÀt junger MÀnner berichtet Pollak :
Die jungen Söhne der guten Wiener Gesellschaft kreuzten in dieser Welt der Se-
xualtitĂ€t [sic], deren weibliche Geographie [âŠ] von einem geheiligten Pol auf der
einen Seite markiert war (die MĂŒtter, die Schwestern, die Kousinen und alle poten-
tiellen Gattinen [sic], die vor dem Erreichen einer âangemessenen gesellschaftlichen
141 Zweig : Die Welt von Gestern, S. 93.
142 Ebd. Mehr dazu ebd., S. 90â92.
143 Ebd., S. 88.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208