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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld982
WÀhrend die AufklÀrung des 18. und der naturwissenschaftlich ausge-
richtete Positivismus des 19. Jahrhunderts mit solchen Vorstellungen wenig
anzufangen wussten, machte sich im Europa der Romantik, besonders aber
des frĂŒhen 20. Jahrhunderts ein starkes Interesse an der mystischen Tradition
bemerkbar. Wagner-Egelhaaf weist darauf hin, âdaĂ gerade vor dem Hinter-
grund des modernen BewuĂtseins vom Zerfall der Einheiten neue sentimen-
talische Einheitsvisionen Konjunkturâ hatten.581 Dieses Interesse drĂŒckte sich
in zahlreichen Neueditionen der alten â nicht nur christlichen â Mystiker aus,
so etwa in der von Musil als Materialsammlung verwendeten Zusammenstel-
lung Ekstatische Konfessionen, die der aus Wien stammende jĂŒdische Religi-
onsphilosoph Martin Buber 1909 veröffentlicht hatte.582 Wie bereits deutlich
geworden sein sollte, bildet das aus den irrationalen BedĂŒrfnissen der Zeit-
genossen entstehende mystikaffine Umfeld einen wichtigen Gegenstand der
erzÀhlerischen Darstellung und Reflexion des Mann ohne Eigenschaften. Doch
damit noch nicht genug : Sogar das in Musils Roman zentrale Problem der
âEigenschaftslosigkeitâ, das in der vorliegenden Untersuchung bisher vor allem
mit Blick auf das negativ-anthropologische âTheorem der menschlichen Ge-
staltlosigkeitâ erlĂ€utert wurde583, steht darĂŒber hinaus in einer bezeichnenden
Verbindung mit der mystischen Tradition. So heiĂt es in einem Traktat von
Meister Eckhart ganz einschlÀgig, wie zuerst Jochen Schmidt584 herausgear-
beitet hat (in neuhochdeutscher Ăbersetzung) :
[W]eil Gott sich selbst und alle Dinge uns zu freiem Eigen geben will, darum will er
uns alles Eigentum [im mhdt. Original : âeigenschaftâ, N. C. W.] ganz und gar beneh-
men. Ja, fĂŒrwahr, Gott will durchaus nicht, daĂ wir auch nur so viel Eigenes besitzen,
wie mir in meinen Augen liegen könnte. [âŠ] Wir [âŠ] sollen alle Dinge [nur so] ha-
ben, als ob sie uns geliehen seien und nicht gegeben, ohne jeden Eigenbesitz [Ăąne alle
eigenschaft], es sei Leib oder Seele, Sinne, KrĂ€fte, Ă€uĂeres Gut oder Ehre, Freunde,
Verwandte, Haus, Hof und alle Dinge.585
Musils, was nur durch die konsequente Nichtbeachtung der auch hier konstitutiven Ironie,
des erzĂ€hlerischen Rahmens, der zahlreichen Relativierungen sowie der anderen BezĂŒge der
fraglichen Stellen möglich ist.
581 Wagner-Egelhaaf : Musil und die Mystik der Moderne, S. 199.
582 Grundlegend zu Musils Buber-Exzerpten ist Goltschnigg : Mystische Tradition im Roman Mu-
sils.
583 Vgl. oben Kap. I.3.1.
584 Vgl. Schmidt : Ohne Eigenschaften, S. 46â53.
585 Meister Eckhart : Die rede der underscheidunge/Reden der Unterweisung, S. 422 f. Zu Musils
âmissverstĂ€ndlicherâ Ăbersetzung vgl. Karthaus : Ohne Eigenschaften, S. 549 f.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208