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âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ 995
WĂ€hrend âdie Darstellung des âMeeresââ im frĂŒhen Kapitelentwurf âDie
Reise ins Paradiesâ âzur heroischen Idylleâ gerinne, in der maĂgebliche âeu-
ropĂ€ische Kultur-Mythen zitiertâ sind (Faust II, Nietzsche) und die schlieĂ-
lich âalle Symptome einer mythologisierenden Erstarrungâ aufweise (wo-
durch die oben diskutierten Deutungen Manfred Franks und Wolfgang
Riedels in gewisser Weise sogar gestĂŒtzt werden), bleibe das utopische
Potenzial der âAtemzĂŒge eines Sommertagsâ aufgrund der kontemplativen
Anlage des âunendlichen GesprĂ€chsâ zwischen Ulrich und Agathe vor ei-
ner solchen problematischen Fixierung bewahrt.613 Voraussetzungen dafĂŒr
sind zum einen der bereits genannte âdoppelte Aspektâ der verschiedenen
ZustÀnde, zum anderen die stets beibehaltene reflexive Geisteshaltung, die
als intellektuelle Kontrollinstanz fungiert, sowie schlieĂlich die eigentĂŒmli-
che âpointillistischeâ Genauigkeit614 der erzĂ€hlerischen Gestalt. Verglichen
mit Prousts Recherche und Joyces Ulysses habe Musils Mann ohne Eigenschaf-
ten âPhĂ€nomen und Begriff der auf den âAugenblickâ reduzierten Utopie am
umfassendsten zur Sprache gebracht und analysiertâ615. Mehr noch : âDie
historische Fortgeschrittenheit von Musils Analyse und Beschwörung des
âAugenblicksâ ist dadurch gegeben, daĂ er, wie kein Augenblick-Emphatiker
vor ihm, das âplötzlicheâ Erlebnis, das [âŠ] nach dem Zusammenbruch aller
objektiven Referenzen als einziges Datum ĂŒbrig bleibt, immer wieder auf
seine objektive Relevanz befragte.â616 Auf diese Weise bringt er es in eine
Relation zu jener
umfassende[n] Bestandsaufnahme und Kritik einer Endzeit, die, wie der erste Teil des
Romans zeigt, politisch und gesellschaftlich auf Leerlauf geschaltet hat und auf den
Untergang zutreibt. Die Hoffnung, im rein privaten Bereich der Liebe diese Sinnlo-
sigkeit zu transzendieren, scheitert auch fĂŒr diejenigen Liebenden, die sich mit letzter
Konsequenz von allen Beziehungen zu ihrer als wertlos erkannten Gesellschaft frei-
machen. Ihre Verabsolutierung der Liebe zum Religionsersatz, zur Liebesreligion, er-
weist sich [âŠ] auch als Leerlauf und entpuppt sich so als KomplementĂ€rerscheinung
der politischen und gesellschaftlichen Situation. So wie die Parallelaktion in den Krieg
613 So ebd., wo allerdings die entstehungsgeschichtliche Dimension ausgeblendet wird und des-
halb die einschlĂ€gigen Passagen des frĂŒhen Kapitelentwurfs âDie Reise ins Paradiesâ fĂ€lschli-
cherweise nicht als konzeptionelle Vorstufen des in âAtemzĂŒge eines Sommertagsâ Ă€sthetisch
gestalteten âanderen Zustandsâ erscheinen, sondern als dessen âzweite Varianteâ (S. 211).
614 Musils âpointillistische[ ]â Auflösung des Zeitkontinuums âin einzelne Nervenkomplexeâ diag-
nostiziert schon Michel : Die Utopie der Sprache, S. 31.
615 Bohrer : Utopie des âAugenblicksâ, S. 202.
616 Ebd.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208