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Teil II: Romantext als
KrÀftefeld996
mĂŒnden sollte, so sollte auch die Geschwisterliebe als letzte endzeitlich verstanden
werden.617
In den dreiĂiger Jahren hat Musil selbst auf einem Studienblatt zu âMoral und
Kriegâ Entsprechendes nahegelegt, indem er zum GeschwisterverhĂ€ltnis fest-
stellt : âUlrich-Agathe ist eigentlich ein Versuch des Anarchismus in der Liebe.
Der selbst da negativ endet. Das ist die tiefe Beziehung der Liebesgeschichte
zum Krieg.â (M II/8/251) Die narrativ in verschiedene Richtungen entwickel-
ten Linien des Romans hĂ€tten auf diese Weise wieder zusammengefĂŒhrt wer-
den sollen.
Mit dieser BestÀtigung der erkenntnisleitenden These zur erzÀhlerischen
Funktionalisierung des âanderen Zustandsâ, wonach Musils literarische Mys-
tikadaptationen stets reflexiv eingeholt werden â sei es im Sinne von ge-
fĂŒhls-, wahrnehmungs- und bewusstseinstheoretischen Experimenten oder
aber im Sinne eines romanesken Reflexionsmediums von Kunst und Liebe in
der Moderne â, gelangt das Kapitel ĂŒber die (zuletzt sĂ€mtlich vergeblichen)
Liebesversuche im Mann ohne Eigenschaften an sein Ende : WĂ€hrend Musils
âmoderneâ literarische Verwendung von Elementen des Mythos nur noch Ă€s-
thetischer Natur ist618, wie in den hier angestellten Beobachtungen deutlich
geworden sein sollte, bleibt fĂŒr ihn die â darstellerisch stets ins âTaghelleâ zu
transponierende â âmystischeâ Erfahrung der Einheit und Liebe weiterhin ein
konstitutives, ja ein höchst produktives, wenngleich ephemeres und bisweilen
auch gefÀhrliches Element der heutigen Welt, die er bekanntlich in seinem
groĂen Roman geistig zu bewĂ€ltigen suchte (vgl. GW 7, 942). Durch diesen
nicht unbescheidenen epistemologischen Anspruch und seine gewissenhafte,
wenn auch stets prekÀre erzÀhlerische Umsetzung belegt er, dass die Kunst
keineswegs bloĂ kompensatorisch âzur letzten Fluchtburg der GlĂŒcksphanta-
617 Zehl-Romero : Musils âletzte Liebesgeschichteâ, S. 632.
618 Vgl. RuĂegger : Kinema mundi, S. 134â136 : Der Mythos steht bei Musil ânicht mehr stellvertre-
tend fĂŒr das Irrationale, ImaginĂ€re oder Metaphysische. Seine Verwendung ist medial bedingt ;
seine formal-inhaltliche Funktion besteht in der Akzentuierung des Àsthetischen Charakters ei-
nes Textes, der keine allgemeingĂŒltige Botschaft oder ErklĂ€rung der Welt mehr verbreitet, wie
es gemÀà einem traditionellen MythenverstĂ€ndnis der Fall sein mĂŒĂte, sondern gerade wegen
der FĂŒgsamkeit des Mythos in ein Ă€sthetisches Konzept alle transzendierenden Deutungsver-
suche unterlĂ€uft. [âŠ] Als Konstituente eines Textes verdeutlicht der Mythos, der selber nicht
als âmythischâ, als Teil der Literatur jedoch als âmythologischâ bezeichnet werden kann, daĂ
das Denken der Dichtung nicht mehr in Bildern (= symbolisch, imaginÀr) erfolgt, sondern mit
Bildern. Der Gebrauch des Mythos bleibt transparent im Hinblick auf seine Vermitteltheit [âŠ] ;
das Ă€sthetische PhĂ€nomen ist die letzte Wirklichkeit.â
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208