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âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ 1015
Leben als Rentiers, die von ihren VĂ€tern ausgehalten werden. Eine gewisse
Analogie ergibt sich auch zwischen Ulrichs âverwackeltemâ âkurzflĂŒgelige[n]
SchlöĂchenâ (MoE 12) â an anderer Stelle ist von den âniederen FlĂŒgel[n]
eines boudoirhaft kleinen SchlöĂchensâ (MoE 30) die Rede â und Arn-
heims âSchloĂ in der Markâ (MoE 390 u. 506), genauer : âein wackeliges altes
SchloĂâ (MoE 191).665
Hier werden allerdings auch bereits maĂgebliche Differenzen in der jewei-
ligen erzÀhlerischen Anlage und Ausstattung der beiden Figuren sichtbar666,
handelt es sich im Fall Ulrichs doch nur um ein heruntergekommenes Miet-
objekt, wÀhrend Arnheim neben dem Eigentum eines ganzen Schlosses auch
noch eine sehr ansehnliche Berliner Villa bzw. ein stÀdtisches Wohnhaus sein
Eigen nennen darf : âEr besaĂ eine Villa in modernstem Stil, die in allen Zeit-
schriften fĂŒr zeitgenössische Baukunst abgebildet wurde, und ein [âŠ] altes
SchloĂ irgendwo in der kargsten adeligen Mark, das geradezu wie die mor-
sche Wiege des preuĂischen Gedankens aussah.â (MoE 190 f.) Wenn man ins
Innere der jeweiligen Wohnungen blickt, offenbaren sich ebenfalls bedeutende
Unterschiede : So sind in Ulrichs Schlösschen die WĂ€nde âmit Bildern und
bunten BĂŒcherreihen bedecktâ (MoE 30), wohingegen es von Arnheims Villa
vielsagend heiĂt : âEr besaĂ in seinem Berliner Wohnhaus einen Saal, der ganz
voll mit barocken und gotischen Skulpturen war. [âŠ] Diese Sammlung wurde
sehr geschĂ€tzt und fĂŒhrte viele Kunstgelehrte zu Arnheim, mit denen er sich
gebildet unterhieltâ (MoE 187). Der den historischen Gegebenheiten der be-
rĂŒhmten Grunewaldvilla Rathenaus667 nur ungenau entsprechende Umstand
erlaubt es Musil, narrative Indizien fĂŒr eine wesentliche soziologische Diffe-
am 1. Oktober 1924 verschied (vgl. Corino : Musil [2003], S. 723â726), und Mathilde Rathenau
ĂŒberlebte sowohl ihren Mann als auch ihren Sohn (vgl. Heimböckel : Rathenau und die Litera-
tur seiner Zeit, S. 30).
665 Wie Corino : Musil [2003], S. 870 f., ausfĂŒhrt, besaĂ Arnheims Modell Walther Rathenau einen
âHerrensitz in Freienwalde, den der Industrielle direkt von der preuĂischen Krone erworben,
aufwendig-stilgerecht restauriert hatte und in dem Schriftstellerkollegen Musils wie Franz Blei
oder Fritz von Unruh gelegentlich zu Besuch warenâ.
666 Offenbar mehr mit Blick auf die als Vorbilder fĂŒr die romanesken Schlösser identifizierten
realen Bauwerke denn auf die vom ErzÀhltext gegebenen architektonischen Informationen
stellt Barnouw : ZeitbĂŒrtige Eigenschaften, S. 173, Ulrichs âniedliches BastardschlöĂchen
mit der zusammengewĂŒrfelten [?] Einrichtungâ der âgoethesch-preuĂische[n] Kahlheitâ des
Arnheimâschen âstilreinen BiedermeierschlöĂchensâ entgegen.
667 Vgl. dazu Corino : Musil [2003], S. 871 : âĂberliefert ist, daĂ Fritz Andreae, der Schwager Ra-
thenaus, in seinem Grunewaldhaus eine bedeutende Sammlung christlicher Holzplastik besaĂ.
[âŠ] Diese Sammlung (die erst nach Rathenaus Tod, unter den Vorzeichen des III. Reichs, in
sein Wohnzimmer gelangte) ĂŒbertrug Musil in die Villa Arnheimsâ.
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Buch Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts"
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Titel
- Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
- Untertitel
- Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
- Autor
- Norbert Christian Wolf
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2011
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78740-2
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 1224
- Schlagwörter
- Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
- Kategorie
- Geisteswissenschaften
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 9
- Einleitung 11
- TEIL I : GRUNDLEGUNG
- TEIL II : ROMANTEXT ALS KRĂFTEFELD
- 1. âVersuchsstation des Weltuntergangsâ : Chronotopos und sozialer Raum 261
- 2. âZeitfigurenâ 1913/1930 âam gesellschaftlichen Schachbrettâ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
- Erben und Enterbte 344
- Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) â Der Dilettant Walter 347
- Mann mit Eigenschaften 378
- Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
- Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
- Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
- Aufsteiger und Gebremste 482
- Realpolitik als âAntiessayismusâ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) â Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und âJudeâ 501
- Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
- Terroristen und Propheten 548
- Forcierte âEigenschaftlichkeitâ : Der Antisemit Hans Sepp 558
- eingast, Faschist und Schwerenöter 584
- Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist SchmeiĂer 601
- Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem âGeiste des Expressionismusâ 613
- Gefallene Geliebte 643
- Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
- Petrifizierte âEigenschaftlichkeitâ, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
- Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
- Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
- Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
- Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
- Angepasste und Dissidentinnen 708
- Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
- Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
- 3. âDie falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaftâ : Konstellationen und Interaktionen 768
- Ehen in der Krise 781
- Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die âTrĂ€ger des Zeit- wandelsâ Walter und Clarisse 788
- Von der physiologischen âZwangsherrschaftâ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
- Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
- Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
- Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der âschönen Seeleâ : Ulrich und Bonadea 825
- Coitus interruptus als âLustselbstmordâ : Ulrich und Gerda 844
- Liebesversuche jenseits der Ehe 885
- Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
- Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
- Liebe Ă la hausse, platonische âBegegnung zweier Berggipfelâ : Diotima und Arnheim 908
- Die âletzte Liebesgeschichteâ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
- 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
- Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
- Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, PreuĂen gegen Ăsterreich 1005
- Der Intellektuelle und der GroĂschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
- Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
- Entgegengesetzte âExponenten des Zeitgeistesâ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
- BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
- BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und SchmeiĂer 1086
- TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
- Literaturverzeichnis 1169
- Musil-Texte 1169
- Andere Quellen 1169
- Nachschlagewerke 1176
- Allgemeine Forschungsliteratur 1176
- SekundÀrliteratur zu Musil 1193
- Register 1208