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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion - Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Teil III: Erzeugungsformel des Werks und Selbstobjektivierung des Autors1136 sonderes Interesse dem „inneren Menschen“ (GW 8, 1029) gelte, also dem ‚seelischen‘ Bereich, dem die wissenschaftliche Begrifflichkeit und Suche nach Regelhaftigkeit (im Sinne von Quantifizierbarkeit) nicht oder zumindest nur eingeschrĂ€nkt entsprechen.114 Bereits in seinem ersten Roman Die Verwirrun- gen des Zöglings Törleß (1906) hatte er wie zahlreiche andere zeitgenössische Autoren aus der Habsburgermonarchie eine programmatische Ausweitung des Gegenstandsbereichs erzĂ€hlender Literatur auf Probleme der Psyche vollzogen115 und sich so vom Realismus bzw. Naturalismus abgegrenzt, die um 1900 insbesondere in der norddeutschen und Berliner literarischen Szene beheimatet waren. In gewisser Hinsicht stand noch Döblins epochemachen- der Roman Berlin Alexanderplatz (1929) in deren Tradition116 – ein Roman, den Musil als „unĂŒbertreffliche Menschenschilderung“ (GW 9, 1722) ĂŒbrigens „ganz außerordentlich“ (Br 1, 453) schĂ€tzte. Die nachgelassenen Skizzen und EntwĂŒrfe zum Essay Literat und Literatur liefern fĂŒr dieses ungewöhnlich eu- phorische Urteil freilich eine bezeichnende BegrĂŒndung. Musil bemerkt darin nĂ€mlich, dass „Döblin, der zuletzt in seinem Roman ‚Alexanderplatz‘ durch einen bewundernswerten Realismus ĂŒberrascht hat, in seinen Tendenzen, die sehr vielfĂ€ltig sind, darĂŒber hinaus geht.“ Und erlĂ€uternd fĂŒgt er hinzu : „[D]as Wort Reproduktion darf [
] nicht dazu verleiten, an ein mechanisches Verfahren oder eine passive GedĂ€chtnisleistung zu glauben (wiewohl es das in FĂ€llen kleiner Art gibt) : wenn zwischen geistig formativer Kraft und Kraft der Reproduktion geschieden wird, so hat dies nur die Bedeutung, zwei große Quellen der Dichtung bloßzulegen“ (M VI/3/63).117 Berlin Alexanderplatz 114 Im Unterschied zum Wissenschaftler sei fĂŒr den Dichter „eine bestimmte Erkenntnishaltung und bestimmte Erkenntnisabsicht“ charakteristisch, die mit der „entsprechende[n] Objekts- welt“ einhergehe : Gemeint ist „das nicht-ratioĂŻde Gebiet [
] der Herrschaft der Ausnahmen ĂŒber die Regel“, welches „eine vollkommene Umkehrung der Einstellung des Erkennenden verlangt“ (GW 8, 1026 u. 1028). 115 Allerdings war sich Musil wohl bewusst, dass er nicht nur in der „Stadt Arthur Schnitzlers“ lebte, sondern sich eben auch „in der Stadt Karl Krausens befand, der das Messer wetzt, wenn ein andrer Ich sagt“ (GW 8, 1406). Das Interesse am „inneren Menschen“ war dementspre- chend nicht sein einziges Movens literarischer Anstrengung ; daneben existierte ein dezidiert soziologisches Gestaltungsziel, wie in der vorliegenden Arbeit deutlich werden sollte. 116 Vgl. zum Kontext auch Döblin : Der Geist des naturalistischen Zeitalters. 117 In seinen EntwĂŒrfen fĂ€hrt Musil fort : Die Dichtung „bietet dabei ein Ă€hnliches Bild wie etwa die Physik, wo es experimentelle und theoretische Begabungen gibt, die beide gleich notwen- dig sind, aber sich schon dem Wesen der Sache nach so gut wie nie zu gleichen Teilen in ein und derselben Person mischen. Das ist der Tatbestand, und darum ist es eine Übertreibung und Einseitigkeit gewesen, wenn von der Vorgeneration in den Zeiten, die sich naturalistisch und impressionistisch nannten, der Wert der Tatsache, des ‚menschlichen Dokuments‘ in den Vordergrund gestellt worden ist.“ Mit Blick auf die Neue Sachlichkeit stellt Musil ausdrĂŒcklich
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Kakanien als Gesellschaftskonstruktion Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
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Titel
Kakanien als Gesellschaftskonstruktion
Untertitel
Robert Musils Sozioanalyse des 20. Jahrhunderts
Autor
Norbert Christian Wolf
Verlag
Böhlau Verlag
Ort
Wien
Datum
2011
Sprache
deutsch
Lizenz
CC BY-NC-ND 3.0
ISBN
978-3-205-78740-2
Abmessungen
15.5 x 23.0 cm
Seiten
1224
Schlagwörter
Robert Musil, The Man without Qualities, modern novel, sociology of the novel, Pierre Bourdieu, cultural history
Kategorie
Geisteswissenschaften

Inhaltsverzeichnis

  1. Vorbemerkung 9
  2. Einleitung 11
    1. 1. Vom Scheitern eines Großkritikers : Aporien der Literaturkritik 11
    2. 2. Die MĂŒhen der Literaturwissenschaft : Aporien der Forschung 20
  3. TEIL I : GRUNDLEGUNG
    1. 1. Grundlagen der Untersuchung 43
      1. 1.1 Vorstellung der Methode : Bourdieus Sozioanalyse literarischer Texte 43
      2. 1.2 Methodologische EinwÀnde : Kritik der Sozioanalyse 58
    2. 2. Grundlagen der Poetik Musils 64
      1. 2.1 Der Mensch ohne Eigenschaften : ‚Gestaltlosigkeit‘ als ‚negative‘ Anthropologie 64
      2. 2.2 ‚Gestaltlosigkeit‘ und Romantext als Gesellschaftskonstruktion 80
    3. Gesellschaft im Roman 82
    4. Roman als Konstruktion 101
    5. Da capo : Angemessenheit und Vorgehensweise der Sozioanalyse 124
      1. 2.3 Medienkonkurrenz : Essayistisches vs. filmisches ErzÀhlen (Musil kontra Balåzs) 129
    6. 3. Grundbegriffe des Romankonzepts 165
      1. 3.1 Eigenschaftslosigkeit 165
      2. 3.2 Möglichkeitssinn und Essayismus 199
  4. TEIL II : ROMANTEXT ALS KRÄFTEFELD
    1. 1. „Versuchsstation des Weltuntergangs“ : Chronotopos und sozialer Raum 261
      1. 1.1 SelbstreferenzialitĂ€t und Außenreferenz : Das Eingangskapitel 261
      2. 1.2 Ein Land ohne Eigenschaften – Kakanien als Modell 282
      3. 1.3 Das Feld der Macht im Mann ohne Eigenschaften 300
    2. 2. „Zeitfiguren“ 1913/1930 „am gesellschaftlichen Schachbrett“ : Kapitalausstattung und Habitusbildung 328
      1. 2.1 MĂ€nner 334
    3. Erben und Enterbte 344
    4. Ulrich, Mann ohne Eigenschaften ) – Der Dilettant Walter 347
    5. Mann mit Eigenschaften 378
    6. Eigenschaftslosigkeit aus Marginalisierung : Ulrichs Alter Ego Moosbrugger 392
    7. Der moderne Industrielle : Ulrichs Gegenspieler Arnheim 409
    8. Adel und modernerKonservativismus : Ulrichs Inversion Leinsdorf 457
    9. Aufsteiger und Gebremste 482
    10. Realpolitik als ‚Antiessayismus‘ : Der FunktionĂ€r Tuzzi (489) – Zur sozialen Erzeugung von Eigenschaften : Leo Fischel, Liberaler und ‚Jude‘ 501
    11. Ein trojanisches Pferd des MilitÀrs : General Stumm von Bordwehr 523
    12. Terroristen und Propheten 548
    13. Forcierte ‚Eigenschaftlichkeit‘ : Der Antisemit Hans Sepp 558
    14. eingast, Faschist und Schwerenöter 584
    15. Der selbstbewusste Proletarier und junge Sozialist Schmeißer 601
    16. Friedel Feuermaul, Pazifist aus dem „Geiste des Expressionismus“ 613
      1. 2.2 Frauen 635
    17. Gefallene Geliebte 643
    18. Zerrissener Zusammenhang, perspektivische Verschiebung : Ulrichs Geliebte Leona 649
    19. Petrifizierte ‚Eigenschaftlichkeit‘, Macht des Faktischen : Ulrichs Geliebte Bonadea 659
    20. Leidende an einer geheimnisvollen Zeitkrankheit 672
    21. Wahnsinn als Methode : Clarisse 676
    22. Die frustrierte Ehefrau Klementine Fischel 694
    23. Ein gespaltener Habitus : Gerda Fischel 698
    24. Angepasste und Dissidentinnen 708
    25. Diotima, Frau mit Eigenschaften 712
    26. Agathe, Frau ohne Eigenschaften 737
    27. 3. „Die falschen zwischenmenschlichen Vereinigungen unserer Gesellschaft“ : Konstellationen und Interaktionen 768
      1. 3.1 Gemischtgeschlechtliche Konstellationen : MĂ€nner und Frauen im 20. Jahrhundert 771
    28. Ehen in der Krise 781
    29. Erosion der GeschlechteridentitĂ€ten : Die „TrĂ€ger des Zeit- wandels“ Walter und Clarisse 788
    30. Von der physiologischen „Zwangsherrschaft“ zur wissenschaftlichen EhefĂŒhrung : Diotima und Tuzzi 799
    31. Das schleichende Eindringen des Politischen ins Private : Leo und Klementine Fischel 809
    32. Unordentliche VerhÀltnisse, Geschlechterkampf 817
    33. Der Intellektuelle und die Kontrafaktur der ‚schönen Seele‘ : Ulrich und Bonadea 825
    34. Coitus interruptus als „Lustselbstmord“ : Ulrich und Gerda 844
    35. Liebesversuche jenseits der Ehe 885
    36. Ulrichs frĂŒhes Einheitserlebnis 894
    37. Die verbindende Kraft des Antisemitismus : Gerda Fischel und Hans Sepp 902
    38. Liebe à la hausse, platonische „Begegnung zweier Berggipfel“ : Diotima und Arnheim 908
    39. Die „letzte Liebesgeschichte“ als Experiment der Androgynie : Ulrich und Agathe 928
    40. 3.2 Gleichgeschlechtliche Konstellationen : Moderne MĂ€nnerbeziehungen 998
    41. Konkurrenz um Prinzipien und Menschen 1000
    42. Reviermarkierungen im Kampf um eine Frau : Tuzzi gegen Arnheim, Preußen gegen Österreich 1005
    43. Der Intellektuelle und der Großschriftsteller als Versucher : Ulrich gegen Arnheim 1014
    44. Ideologische Gegnerschaften, Klassenkampf 1059
    45. Entgegengesetzte „Exponenten des Zeitgeistes“ : Hans Sepp und Feuer maul 1063
    46. BildungsbĂŒrger contra KleinbĂŒrger : Ulrich und Hans Sepp 1078
  5. BildungsbĂŒrger contra Proletarier : Ulrich und Schmeißer 1086
  6. TEIL III : ERZEUGUNGSFORMEL DES WERKS UND SELBSTOBJEKTIVIERUNG DES AUTORS
    1. 1. Der Mann ohne Eigenschaften im zeitgenössischen literarischen Feld 1099
      1. 1.1 ‚Negative‘ Anthropologie als literaturpolitischer Einsatz 1101
      2. 1.2 Poetik des Essayismus – Musils vielfacher Bruch 1130
    2. 2. Autor und Romanheld in der Moderne – Musils indirekte Selbstanalyse 1152
  7. Literaturverzeichnis 1169
  8. Musil-Texte 1169
  9. Andere Quellen 1169
  10. Nachschlagewerke 1176
  11. Allgemeine Forschungsliteratur 1176
  12. SekundÀrliteratur zu Musil 1193
  13. Register 1208
    1. 1. Personen 1208
    2. 2. Literarische Figuren 1214
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