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EINLEITUNG 5
lebtenLebens.Jedenfalls ziele ichmitdieserNiederschrift eherauf einemöglichederartige
künftige Auswertung des hier vorgelegtenMaterials als auf die Unterhaltung irgendwel-
cherMüßiggänger,1 diemit der Lektüre von Lebenserinnerungen ihre eigene Langeweile
vertreibenmöchten.Wegendieser konkretenMotivationbelege ich viele Sachverhalte aus
meinemLeben(bzw.demweitererauftretenderPersonenwiebeispielsweisemeinesVaters)
mit entsprechenden und in unzähligenFußnoten gesammeltenVerweisen auf diesbezügli-
cheUnterlagen, gemäß der gängigenPraxis inWerken derGeisteswissenschaften.
Neben derWahrheitstreue geht esmir immer auch umallgemeinere Bedeutungen, die
durch das jeweiligeGeschehen zumAusdruck kommen können.Meine obigenAuslassun-
gen zumErzählenwaren schon ein erstesBeispiel dafür. Ichwollte schondanicht einfach
mitdemErzählenbeginnen, sonderndenLeser erst einmalgemeinsammitmir zumNach-
denken darüber anregen, warumwir überhaupt über unser Erleben reden. Dieser Hang
zurReflexion istbeimir schon immer sehrausgeprägtgewesenund läßt sichdaherauch in
meinenMemoiren nicht unterbinden. So ergeben sich auch in diesemBuchwie in seinem
Vorgänger2wieder viele Lehren ausmeinemLeben.
Reflexion istnichtnureinbesondersausgeprägtesMerkmal inmeinerpsychischenAnla-
ge.Vielmehr bin ich durchmeineLebenserfahrung auch zutiefst von seiner überragenden
Bedeutung für uns Menschen generell überzeugt. Im täglichen Leben treffen wir, wie
weiter oben schon geschildert, fast alle Entscheidungen in reflexartigerWeise. Auch das
Unterhaltenmit anderen geschieht reflexartig, ohneweiteresNachdenken.Der signifikan-
te Unterschied von Reflexion gegenüber Reflex ist in den letzten Jahrzehnten in der
Psychologiewissenschaftlich eingehendstudiertworden.Wiebeispielsweise einäußerst le-
senswertes Buch vonKahnemann3 nachweist, führt das schnelle, reflexartigeDenken nur
in einfachenFällen zu gutenErgebnissen. Schon in geringfügig anspruchsvollerenAufga-
ben sinkt die Lösungsqualität drastisch und in komplexen Problemstellungen liefert es
sehr oft miserable Lösungen. In schwierigeren Aufgabenstellungen ist daher das langsa-
me und gründliche Nachdenken, also Reflexion angesagt, um zu besseren Lösungen zu
kommen.
Obwohl diese Feststellungen als selbstverständlich erscheinen, hat langsames Denken
oder Reflexion bis heute keinen sehr hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Im Ge-
genteil, hoheBelohnungen vergibt dieGesellschaft vor allem für das schnelle, reflexartige
1So wurden gewisse Leser von Friedrich-Wilhelm Nietzsche in seinem Zarathustra bezeichnet: Ich
hasse die lesendenMüssiggänger (S.29).
2W.Bibel, LehrenvomLeben EssaysüberMenschundGesellschaft.DeutscherUniversitäts-Verlag,
Wiesbaden, 339 Seiten (2003).
3Daniel Kahnemann, Schnelles Denken, langsames Denken (engl. Thinking, fast and slow), Siedler
Verlag,München, 2012.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427