Seite - 35 - in Reflexionen vor Reflexen - Memoiren eines Forschers
Bild der Seite - 35 -
Text der Seite - 35 -
1.1. ELTERN 35
damaligen Schwarmverhalten derGesellschaftgenerell ausging,88wareinesderwirksam-
stenDruckmittel damalswiebis heute Geld,EinflußundAnsehen, beispielsweise in
FormderVerschleppung einer überfälligenBeförderung.89Wennman zu jener Zeit schon
nicht einmal für dieGeflügelzüchter ohne eine entsprechendeBestätigungderGauleitung
tätigwerdendurfte,wie ichobendokumentierthabe, istesselbstverständlich,daßeineBe-
förderungalsLehreroderOffizierohneeineentsprechendeEinwilligungumsoundenkbarer
war.Hierin sehe ichdennauchdasHauptmotiv fürmeinenVater,dieParteimitgliedschaft
einfach hinzunehmen, wie immer sie auch zustandegekommen seinmag. Denn schon die
aufS.29erwähnteErnennungzumLeutnantderReservezum1.12.1938wäreohnediedort
genannteStellungnahmederGauleitungwohlnicht zustandegekommen.Ebenso ist seine
Beförderung zumHauptlehrer zum1.8.1939,90 Jahre zu spät angesichts seiner führenden
Tätigkeiten imbayerischen Schulwesen, aber eben genau imJahr nach seinemParteiein-
tritt erfolgt.91 Vor der Durchführung der Beförderung mußte die zuständige Regierung
vonMittelfranken tatsächlichmitSchreibenvom6.5.1938umeinegutachtlicheÄußerung
desPersonalamtsderGauleitung ersuchen, diemit Schreibenvom4.7.1938unterAngabe
derMitgliedschaften erfolgte. Dieser Vorgang wiederholte sich aus unerfindlichenGrün-
dennochmals nahezu inhaltsgleichmit demAustauschdesSchreibens vom24.9.1938und
derAntwort darauf vom12.11.1938,worauf dann seineBeförderung imdarauf folgenden
Jahr endlich erfolgen konnte.92
Jedenfalls hatman also auchmeinenVater in den Jahren 1937/1938 zumindest formal
andasSystemgebundenunder ist wieetwa11 14MillionenerwachsenerDeutscher
also schließlichParteimitglied gewordenundmußte nachKriegsende danndafür imRah-
men eines Spruchkammerverfahrens auch büßen, worüber ich später auf den Seiten 77ff
ausführlich berichten werde. ZumWiderstandskämpfer in einer aussichtslosen Lage
undalsoquasi zumMärtyrer warermit seinenAnlagennichtgeboren; vielmehrwar er
zeitlebens auf Ausgleich und liberale Toleranz bedacht, offenbar schweren Herzens eben
88Zu diesem Begriff, mit dem Hans Magnus Enzensberger in anderer Form auf die im vorliegenden
Buch behandelte Dichotomie Reflexion vs. Reflex abhebt, siehe: http://www.faz.net/aktuell/feuille-
ton/debatten/frank-schirrmacher-preis-schwaermt-ihr-noch-oder-denkt-ihr-schon-13868712.html?print-
PagedArticle=true#pageIndex_2, Zugriff 29.9.2016.
89Prof. Dr. Rainer Liedtke schreibt: Gerade für Beamte war eine Nichtmitgliedschaft zumindest ein
Hinderungsgrund für weiteren beruflichenAufstieg . Privates Schreiben vom2.9.2015 an denAutor.
In diesem Zusammenhang weist Prof. Dr. Karlheinz König auch auf die vom Bayerischen Kultusmi-
nisterium 1935 verfügtenWohlverhaltenserlasse hin, wonach die fehlendeMitgliedschaft in der NSDAP
Zweifel anderZuverlässigkeitdesBeamtenbegründenunddannzuentsprechendenKonsequenzen führen
konnten,wobei dieArt derKonsequenzen offengelassenwurde.
90Personalakt, aaO. Fußnote 6.
91MeinKollegeErnstDickmannserzähltemiram11.5.2015vonseinemVater, der ebenfallsVolksschul-
lehrerwar, daßman ihn seinerzeit vor dieAlternative gestellt habe: Parteieintritt oderEntlassung.
92BundesarchivAkte, aaO. Fußnote 67.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427