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2.3. DIEZEIT INGEORGENSGMÜND 79
in dargestellt habe. Aber damals hat sich die großeMasse der Gesellschaft wie eh und
je nicht dieMühe zum Zuhören undNachdenken gemacht und die verhängnisvolle, von
einerMinderheit angezettelte Entwicklung einfach treiben lassen. Daß er dann zu einer
Zeit, als dieMachtverhältnisse geklärt undEinzelproteste inderMassenbewegung sinnlos
geworden waren, quasi in dieseMassenbewegung untergetaucht und zumVorteil für die
ganze Familie 1938 unter ungeklärten Umständen Parteimitglied geworden ist, hat die
zu diesem Zeitpunkt bereits übermächtige Entwicklung nicht mehr beeinflußt. Deshalb
bewerte ich seine dadurch auf sich geladene geringe Schuld als bereits durch seinen be-
achtlichen früherenMutabgegoltenund jedenfalls als geringer als beispielsweise diejenige
derKollegen,die1933nichtauf ihnhörenwollten.Zudemhatte erauchalsParteimitglied
seinekritischeEinstellunggegenüberderNSDAPundderReichsführungnie verheimlicht
und auch dann noch offen kund getan, als dies geradezu lebensgefährlich gewordenwar,
nämlichmitten imKrieg.WiewirgleichnochbeimGutachtenvonDr.Stockhausensehen
werden,wurdeer fürdieseoffenbekanntekritischeEinstellungsogarmit einerdemütigen-
denDegradierung bestraft.Wenige hatten damals denMut zu einer solchenOpposition.
Ich bin daher zu der tiefstenÜberzeugung gelangt, daß dasUrteil der Spruchkammer in
seinemFall sich zu engstirnig an demäußerlichenFakt derParteizugehörigkeit orientiert
und dieseGesamtschau bzw. die wichtigen Fakten undDetails unberücksichtigt gelassen
hat und daher schlicht ungerecht war. Die Spruchkammern haben es sich zu einfach ge-
machtunddiegroßeMehrheit,nämlich77%der in1. InstanzerledigtenFällealsMitläufer
eingestuft.69Gerechterweise hätte Hans Bibel wegen seinermutigenOpposition dagegen
als Entlasteter eingestuftwerden sollen.
Zur weiteren Begründung dieser Überzeugung gehe ich nun auf die eidesstattlichen
Gutachten von fünf herausragendenPersönlichkeiten ein, die er in seinemSchreiben vom
6.8.1946 zu seinerEntlastungder Spruchkammervorgelegt hatte.70Darüber hinaushatte
er zweiweitereherausragendePersönlichkeitenalsZeugenbenannt, einenweiterenRegie-
rungsschulrat,Herrn vonRudolph, unddenOrtsvorsitzendenderFreienDemokratischen
Partei inNürnberg, HerrnDr. Fritz Linnert, die die Aussagen der fünfGutachten noch-
mals bestätigen hätten können. (VonLinnert wird in diesemKapitel nochmehrmals die
Rede sein.)
Das erste Gutachten stammt vom damaligen kommissarischen Regierungsschulrat für
den Kreis Mittelfranken, Herrn Adolf Salffner, also vom höchsten Repräsentanten aller
mittelfränkischen Lehrer. Dieser wurde von den Nazis über lange Zeit unter Druck ge-
69Paul Hoser, Entnazifizierung. In: Historisches Lexikon Bayerns. http://www.historisches-lexikon-
bayerns.de/artikel/artikel_46003, Zugriff 30.7.2015.
70AaO.Fußnote 51.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427