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2.3. DIEZEIT INGEORGENSGMÜND 81
aufschlußreich. Schon gleich am ersten Tag erklärte mir Herr Bibel, daß die damalige
StellungunsererEinheit äußerst gefährdet sei eingeschlossen zuwerden.Andiese strategi-
schenBetrachtungen desHerrnBibel schloß sich eine allgemeine politischeUnterhaltung,
aus der mir klar wurde, daß er den Nazismus grundlegend ablehnte. ... DenKrieg hielt
er damals für schon verloren und sprach davon, daß dieNazis weiterkämpfen liessen, um
ihr Leben möglichst lange zu erhalten. ... Bei Herrn Bibel kamen allabendlich die Offi-
ziere zusammen, die Nazigegner waren. Herr Bibel stellte jedesmal den englischenNach-
richtendienst imRadio ein. ... VomKommandeur wurde ihm beiOffiziersbesprechungen
mehrmals Cliquenbildung und Verbreitung pessimistischer Stimmung bei den Offizieren
vorgeworfen. Erwurde aus politischenGründenmehrmals von derBeförderung zurückge-
stellt. Trotz allen persönlichen Schwierigkeitenwollte er sich nicht ins Lazarett einweisen
lassen vonmir, weil er seineKompagnie bei demRückzug imFrühjahr 1944 nicht allein
lassen wollte.
Dieses Gutachten ist inmehrfacher Hinsicht besonders aufschlußreich. Unter anderem
erklärt es in schlüssigerWeise, warum die schon weiter oben erwähnte Beförderung von
Hans Bibel zumHauptmann d.R. zum 1.6.1942 durch Verfügung vom 17.9.1942 wieder
aufgehobenwurde:73 erwar für dieNazis politisch einfachnicht zuverlässig genugund zu
unbeugsam,wie dasGutachten detailliert beschreibt.
Die Auswahl der Gutachter schließt aus, daß hier Freundschaftsdienste im Sinne von
geschönten Charakterisierungen Persilscheine , wie man das damals in diesem Zu-
sammenhangnannte und auch ausgiebig praktizierte geleistetwurden, denn einerseits
ist Saarlouis, derWohnort des letzten Gutachters, dafür einfach zu weit von Nürnberg
entfernt undbei den anderenGutachtern verbietet andererseits deren beruflichePosition
ein falsches oder geschöntes Zeugnis. Die detailliertenAngaben undÜbereinstimmungen
könnten zudemüberzeugender nicht sein und konnten angesichts der gegebenen äußeren
Umstände gar nicht untereinander abgestimmtworden sein.
DieGruppeder fünfGutachter, der beidenweiterengenanntenZeugenundHansBibel
repräsentieren eineMinderheit inder deutschenBevölkerungdesDrittenReichs, dieman
als liberal-konspirative Oppositionsgruppe in Deckung bezeichnen könnte. Als liberale
und eigenständigeDenker konnten sie gar nicht in den Sog desNationalsozialismus gera-
ten. Andererseits waren sie unter den gegebenenUmständen nicht in einer Position, die
ihnen ermöglicht hätte,Widerstand so zu organisieren, daß er zuwirksamenVeränderun-
gen in den von den Nazis ausgeklügelten und fest betonierten Strukturen hätte führen
können. So tauschten sie sich in ihrer oppositionellenHaltung unterWahrung gebotener
73Karteikarte ausKartei: Beförderungen derKriegsreserveoffiziere (Bundesarchiv Militärarchiv, Si-
gnatur: RW59/2077).
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427