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98 KAPITEL2. KINDHEIT
dächtnis dadurch für immer eingeprägt, weil er mitten in dieser Straße spazierend in
hohem Bogen vor sich hin urinierte. Danach kommt rechts die noch immer erfolgreich
betriebeneMetzgerei Brunner, von der imAbschnitt 1.1.2 schon die Rede war. Um die
Eckewar eineBäckerei.
NachderBrückeöffnetsicheingrößererPlatz,durchdenderSteinbach indie fränkische
Rezat fließt. Gleich das erste Haus links diente als Schlächterei, an dem ich die erste
Tötung eines quiekenden Schweines miterleben konnte, weil die Schlachtungen dort in
derRegel bei offenemTor unddaher bei freiemEinblick stattfanden.Kurz danach stand
das Haus mit einer Konditorei. Die für mich verlockenden täglichen Auslagen ließen in
mir damals den Entschluß reifen, später einmal den Beruf des Konditors zu ergreifen,
den ich dann aber doch nicht verwirklicht habe. AmEnde des Platzes lag die Scherer-
Schmiede. Dort konnte man von der Gasse am Bach aus dem Schmied am Feuer oder
beimBeschlagen derHufe eines Pferdes zuschauen.
Von der südwestlichen Ecke des Platzes geht es hinauf zum Kirchenbuck und zum
Schulhaus, dasman von dieser Stelle auf verschiedenenWegen erreichen kann. Entweder
rechts nördlich amFriedhof vorbei RichtungHauslach, wo einmal ein bissiger, kläffender
Hund aus dem rechts an der Straße gelegenen Haus mich zu Tode erstarren ließ. Oder
hinauf zurKirche und links an der südlichen Friedhofsmauer entlang, wo ich einmal auf
eine Gruppe junger Zigeuner stieß. Der eine von ihnen hantierte mit einem stehenden
Messer und flößtemir damit größten Respekt und Furcht ein. Ja, kurz nach demKrieg
gab es trotz der Aktionen der Nazis doch auch wieder Zigeuner, wie man damals die
Sinti und Roma noch ausnahmslos zu nennen pflegte. An diesemWeg lag links auch
dasWochenendhäuschenmeinesGroßvaters, in dem zu jener Zeit dannmeineGroßtante
Rackelmannwohnte.
Geradeaus kam man dann an einen Platz vor unserem Schulhaus am Mühlbuck 4.
Unser Klassenzimmer lag nach meiner Erinnerung im Erdgeschoß an der Südseite. Das
1889 erbaute Gebäude dient heute als Jugendhaus. An demPlatz lag westlich auch das
Leichenhaus, dasunserenoch immerkindlicheFantasie damals des öfterenbeflügelte, vor
allemwennwir dort aufgebahrte Leichname bestaunen konnten.Kann so einer auch nur
scheintot sein?Was,wennman ihn beerdigt und erwacht dannwieder auf?
Leichen,mitMessern fuchtelndeZigeuner, furchterregendeHunde, inTodesangst quie-
kende Schweine, tollwütigeHunde, einMannmit einemMesser imBauch: imdamaligen
Dorf konnte einwacher Junge unendlich viel erlebenund erkunden.Mit zweiErlebnissen
will ich diese Schilderungen abschließen.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427