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3.1. ENDEDERGYMNASIALZEIT 169
gung.17SelbstwennmanjedesderZimmerdurchparalleldurchgeführtenVormittags-und
Nachmittagsunterrichtmit zweiKlasseneinheiten belegte, fehlten noch immer 5Zimmer.
Durch eine zusätzlicheNutzung der ZimmerwährendUnterrichtsstunden, die in speziel-
lenRäumlichkeitenwie imFalle von Sport, Physik usw. abgehaltenwurden, konnteman
diesen Fehlbetrag nochmals etwas verringern. Andererseits konntenmindestens zwei der
verfügbarenKlassenzimmer nach der zitierten Schilderung nicht als winterfest eingestuft
werden, wovon gleich noch ausführlicher die Rede sein wird. Die Lage war daher auch
noch im zwölften Jahr nach Kriegsende unhaltbar. Trotzdem wurde die Abhilfe durch
einen Neubau über Jahre hin immer wieder verzögert und erst 1955 endlich in Angriff
genommen.
In dieser Situationwolltenwir in unsererKlasse einExempel des sichtbarenProtestes
statuieren. Im Februar 1956 herrschte in Franken eine sibirische Kälte mit Temperatu-
ren bis unter minus 20◦C. Wie Herr Kluge in seiner Schilderung beschreibt, stand in
der Südwest-Ecke des Zimmers ein offen zu beschüttender Kohlenofen. Eines Morgens
an einem entsprechend kaltenWintertag gossen wirWasser in den Ofen, um seine Hei-
zungswirkungzurVerdeutlichungderSituationzureduzieren,öffnetenzusätzlichkurzdas
Fenster, umdie ohnehinmäßigeRaumwärme nochweiter zu senken, legten einThermo-
meter auf dieFensterbankund zeigtendanndemLehrer der folgendenUnterrichtsstunde
dasMeßergebnis: ganze 7◦C!
Ich war wohl zu dieser Zeit noch Klassensprecher und kooperierte bei dieser Aktion
vor allemmitmeinemKameradenRalphBeran, dessen juristischeAder schondamals zu
pulsierenbegann.MiteinementsprechendenTextspracherbeiderNürnbergerBoulevard-
zeitung 8UhrBlatt vor, die (1919gegründet) als erstederartigeStraßenverkaufszeitung
Deutschlands gilt und für die heutige Bild-ZeitungmutmaßlichModell gestanden hat.18
Für eine solche Zeitungwar jeder solche Skandalfall ein gefundenes journalistisches Fres-
sen,bedient siedochvorallemdas starkemenschlicheBedürfnisnachReflexverhaltenwie
Empörung,Mitleidusw.Sieveröffentlichte erst einenLeserbriefmitderÜberschrift Hilfe
wir frieren! Unterricht bei minus sechs Grad . Auch imText selbst wird von minus
sechs bis acht Grad gesprochen. Irgendjemand hat vor den Betrag noch einMinuszei-
chen gesetzt, was die Seriosität der Angelegenheit zusätzlich zum zweifelhaften Niveau
der Zeitungweiter belastet hat. DasBlatt ging derAngelegenheit daraufhinmit eigenen
Recherchen nach. Die Journalisten haben im Beisein des Direktors 9,5 Grad Wärme
gemessen. Dies und anderes mehr konnten wir dann auf der letzten Seite der Ausgabe
vom 23.2.1956 in dem ausführlichen Artikel mit dem provokanten Titel Schulkinder
17WaltherKluge, aaO., S.53.
18http://franken-wiki.de/index.php/Abendzeitung_/_8_Uhr-Blatt_(Nürnberg), Zugriff 25.10.2015.
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427