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3.2. JUGENDZEIT 191
Kreisen. Entsprechend war seine einzige Tochter daran gewöhnt, daß ihr alles auf dem
silbernen Tablette serviert wurde. Auch wenn ich nicht dabei war, liege ich sicher nicht
ganz falsch inderAnnahme,daßer ihrnach jenemSylvesterabenddasaus seinerPerspek-
tive gesehene Risiko einer dauerhaften Bindungmitmir klarzumachen versuchte. Dabei
spieltemitSicherheit einenichtunerheblicheRolle, daß es in jenenJahren einePille noch
nicht gegeben hat und die Chancen einer ungewollten Schwangerschaft bei unerfahrenen
Pärchen deshalb noch recht hoch waren. Vor allem aber fehlte es bei mir an allen dem
Vater und entsprechend auch der Tochter wichtigen Statussymbolen.Wir besaßen
nach seinermutmaßlichenBeurteilung nicht einmal einAuto, konnten uns offenbar kein
Einfamilienhaus leisten und gehörten aus diesen undweiterenGründen einfach nicht zur
besserenGesellschaft. Trotzdem trat der junge BengelWolfgang selbst ihm als Chefarzt
mit einem von ihmwohl als frech empfundenen Selbstbewußtsein entgegen. Diesesmein
eigenständigesVerhalten löste auchhierwieder dasRuisinger-Phänomenaus, das imAb-
schnitt 2.5 eingeführt und seither in diesemTextmehrfach exemplifiziert worden ist. Er
mochtemich deshalb nicht und, anders als beispielsweise bei Ruisinger, ich ihn auch
nicht. Ich war daher imHause Engelhardt nicht wirklich ein gern gesehener Gast, kann
mich beispielsweise an keine Einladung dorthin erinnern, bin nicht einmal sicher, ob ich
jemals ihr Zimmer betreten durfte, an das ichmich jedenfalls nicht erinnern kann. Selbst
damals in Kirchberg kam niemand in jener Familie auf die Idee, mich die paarMinuten
nachAschaumitdemWagenzu fahrenstattmich inderNachtdorthineineStunde laufen
zu lassen, auchwenn das fürmich ein beglückenderMarsch gewesen ist. Deutlicher kann
eineFamiliediemangelndeWertschätzungdestöchterlichenFreundesnichtzumAusdruck
bringen. InmeinerVerliebtheitwar ichdafür und für all dieseÜberlegungendamals aber
zu blind und außer Stande, vonmeiner geliebten Traudl loszulassen, wasmir dann erst
Jahre später gelang, so einigermaßen zwei und so richtig erst etwa fünf Jahre später. So
erging es unswie den beidenKönigskindern, die zueinander nicht kommen konnten.53
Diese meine erste Jugendliebe hat in mir tiefe, prägende und bleibende Spuren hin-
terlassen.Wie ich aus einer Reihe späterer Begegnungenmit Traudl schließen kann, gilt
das für sie inähnlicherWeise.DiehierversuchteAnalysedesberichtetenGeschehensmag
daherauchüberdiepersönlichenErfahrungenhinaus lehrreich sein. Ihr liegenauchmeine
Vorstellungen über die Liebe zugrunde, die ich imAbschnitt 3.4 meines Buches Lehren
vomLeben54 ausführlichdargelegthabe,dessenKenntnisdasVerständnismeinerAnalyse
vertiefenwürde.
53http://www.lieder-archiv.de/es_waren_zwei_koenigskinder-notenblatt_300454.html,
Zugriff 16.11.2015.
54W.Bibel, LehrenvomLeben EssaysüberMenschundGesellschaft.DeutscherUniversitäts-Verlag,
Wiesbaden, 339 Seiten (2003).
Reflexionen vor Reflexen
Memoiren eines Forschers
- Titel
- Reflexionen vor Reflexen
- Untertitel
- Memoiren eines Forschers
- Autor
- L. Wolfgang Bibel
- Verlag
- Cuviller Verlag Göttingen
- Ort
- Göttingen
- Datum
- 2017
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-SA 4.0
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 464
- Kategorie
- Biographien
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung 1
- Vorfahren 11
- Kindheit 51
- Zielsuche 153
- Forscherleben 281
- Resümee 413
- Stichwort- und Namensverzeichnis 427